Auf nach Sylt!

Von Hamburg kommend verläuft die Marschbahn immer weiter nordwärts, um schließlich über den Hindenburgdamm die Insel Sylt zu erreichen. Doch das war nicht immer so! Von Felix Löffelholz
 
Marschbahn im August 1972: Zwei Loks der Baureihe 012 überqueren den Nord-Ostsee-Kanal auf der Brücke von Hochdonn mit einem Schnellzug nach Hamburg-Altona. (Foto: Peter Pekny, Slg. Verkehrsfreunde) © Peter Pekny, Slg. Verkehrsfreunde
Es gibt wohl kaum einen weiteren Weg innerhalb Deutschlands als vom Bodensee nach Westerland auf Sylt. Mehr als 1.000 Kilometer liegen dazwischen. Entsprechend hatte ich bis zur ersten Reise vom Südrand der Republik an die Marschbahn kaum mehr als eine vage Vorstellung vom Land nördlich Hamburgs: Flach, windig, kühl und dünn besiedelt – so musste es dort sein.

Und tatsächlich: Nachdem der IC den Dunstkreis der Hansestadt hinter sich gelassen hatte und vorbei an unzähligen Schafen und schwarz-weißen Kühen durch eine scheinbar endlos weite Landschaft rauschte, bestätigte sich so manches Bild, das man sich zuvor ausgemalt hatte: Eine zweigleisige Strecke ohne Fahrdraht, aus dunkelrotem Backstein gemauerte Stellwerke, Formsignale mit von salziger Luft angefressenen Stelldrähten, von Hand gekurbelte Schranken und immer wieder kleinere oder größere Brückenbauten waren aus dem Abteilfenster heraus auszumachen. Nicht zu vergessen die gemütlichen, reetgedeckten Häuser und typisch nordisch klingende Ortsnamen wie St. Michaelisdonn, Hemmingstedt, Husum oder Niebüll.

Überhaupt wirkten Bahn und Landschaft bei diesem Besuch im Frühjahr 2007 ziemlich ursprünglich. Viel konnte sich jedenfalls seit dem Ende der letzten Altonaer 012 und der Ära der
V-200-bespannten Schnellzüge wirklich  nicht geändert haben. Und mit der Vorstellung einer donnernden 0110 vor Augen kam die Lust auf, mehr über die Geschichte der Marschbahn zu erfahren: Warum ist dieser dünn besiedelte Landstrich so gut per Bahn erschlossen? Was hat es mit der „alten Marschbahn“ auf sich, von der ein Einheimischer im Zug erzählte? Und welche Gründe gab es für den Bau eines zweigleisigen Eisenbahndammes mitten durch das Wattenmeer, um damit eine im nördlichsten Winkel Deutschlands gelegene Insel zu erreichen?

Die Anfänge der heutigen Strecke Hamburg – Wes­terland sind in der Glückstadt-Elmshorner Eisenbahngesellschaft zu finden. Diese eröffnete am 20. Juli 1845 eine Strecke von Elmshorn zum Hafenbahnhof in Glückstadt, die zwölf Jahre später neu trassiert und bis zum Fluss Stör bei Itzehoe verlängert wurde. Ab 1878 begann die systematische Erweiterung nach Norden. Die Züge überquerten nun die Stör und fuhren bis Heide. Am 1. September 1886 wurde Lunden erreicht, und es entstand neben der Brücke über die Eider bei Fried­richstadt auch eine Verbindung zur Strecke Flensburg – Husum – Tönning. Ab dem 17. Oktober 1887 fuhren die Züge bis Bredstedt, und am 15. November 1887 erhielt Niebüll den Anschluss.

Von dort aus ging es weiter über die damals noch zu Deutschland gehörenden Orte Tondern (Abzweig nach Tingleff und Hoyer Schleuse), Bredebro (Abzweig nach Lügumkloster und Apenrade), Scherrebek (Anschluss an die Haderslebener Kreisbahn) und Ripen nach Bramming, wo schließlich Anschluss an das dänische Hauptbahnnetz bestand. Etwa 250 Kilometer Gleis waren nun von Elmshorn bis Bramming verlegt – immer nordwärts und immer in Küstennähe. Die auch als Westküstenbahn bezeichnete Strecke war nun vollendet!


Zwischenzeitlich (zum 1. Januar 1879) war die Glückstadt-Elmshorner Eisenbahn in der Holsteinischen Marschbahn-Gesellschaft aufgegangen. Ab 1888 trug diese den Namen Schleswig-Holsteinische Marschbahn-Gesellschaft und ging ihrerseits zum 1. Juli 1890 in das Eigentum des preußischen Staates über. Dieser unterstellte die Strecke der Direktion Altona.
Nach dem Ersten Weltkrieg stand der so abgelegen wirkende Landstrich zwischen Nord- und Ostsee plötzlich im Mittelpunkt der deutsch-dänischen Beziehungen. Dem Versailler Vertrag folgend sollten die Einwohner der nördlichen Teile des Herzogtums Schleswig in einer Volksabstimmung über ihre staatliche Zugehörigkeit entscheiden. Das Resultat des umstrittenen und vielfach kritisierten Verfahrens: Nordschleswig wurde am 15. Juni 1920 Teil des Königreichs Dänemark. Entsprechend wurde die Staatsgrenze nach Süden verschoben und zerschnitt somit auch die Marschbahn nördlich von Süderlügum, bei Kilometer 175,3.

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