Baureihe 120.1

An dieser Lok war so vieles neu – das musste Probleme geben. Zum ersten Mal fuhr eine Serienlok mit Drehstrom.

Text: M. Niedt

 
Die 120 104 im Bw Nürnberg Hbf am 24. Juli 1987 (Foto: Marcus Niedt) © Foto: Marcus Niedt

Am 27. April 1987 fand in Nürnberg ein wenig beachtetes Ereignis statt, das aber weit reichende Bedeutung hatte. Erstmals bespannte an diesem Tag eine Lok der neuen Baureihe 120.1 einen planmäßigen Zug. Es war die 120 103, die den IC 21 „Blauer Enzian“ von Nürnberg nach München brachte. Natürlich war dieses Ereignis nicht vergleichbar mit der Bedeutung, die die erste Fahrt des ADLER mehr als 150 Jahre zuvor an diesem Ort gehabt hatte. Dennoch schlug 120 103 an diesem Tag ein neues Kapitel in der Eisenbahngeschichte auf: Drehstromlokomotiven übernahmen von nun an die Zugförderung.

Genau genommen begann an diesem frühlingshaften Apriltag der weltweit erste planmäßige Einsatz serienmäßiger Drehstromlokomotiven – ein lokomotivtechnisches Ereignis, das eine sehr lange und bewegte Vorgeschichte hatte. Die ersten Drehstromlokomotiven kamen schon vor 1900 zum Einsatz. 1899 eröffnete die Burgdorf-Thun-Bahn und 1906 die SBB am Simplon den elektrischen Betrieb. Die Umformung des Stroms in variable Frequenz und Spannung konnte nur in den Kraftwerken erfolgen, und der Drehstrom musste mittels dreipoliger Leitungen zur Lok geführt werden, was zu überaus komplizierten Oberleitungsanlagen führte. Die Loks waren Einzelstücke, die nur mit drei Geschwindigkeitsstufen entsprechend der Phasen des Drehstroms betrieben werden konnten. Dass diese Versuche trotz aller Widrigkeiten dennoch unternommen worden waren, war den verlockenden Eigenschaften der Drehstrommotoren zu verdanken: Sie waren fast wartungsfrei, sehr klein und leicht, was angesichts der damals gewaltigen Kommutatormotoren einen enormen Vorteil ausmachte – immerhin musste die Lok ja auch ihr eigenes Gewicht bewegen.

In den Jahren nach 1914 überholte die Entwicklung des Kommutatormotors die Drehstromtechnik. Während es nicht gelang, Gleichrichter zu entwickeln, die auch in einer Lokomotive Platz finden konnten, wurden die Kommutatormotoren für den Wechselstrombetrieb immer kleiner und gleichzeitig auch leistungsfähiger. Erst die Fortschritte in der Halbleitertechnik und bei Thyristoren (steuerbare Gleichrichter aus Halbleitern) ermöglichten Anfang der siebziger Jahre den Bau kleinerer Gleichrichter. Die DB unternahm Versuche mit dieselelektrischen Lokomotiven der Baureihe 202.

Das Ergebnis der fast zehnjährigen Forschungs- und Entwicklungsarbeit waren 1979/80 die fünf Vorserienlokomotiven der Reihe 120.0 (120 001 – 005). Die Bundesbahn hatte einen großen Bedarf an neuen Lokomotiven, die nicht nur die zahlreichen Altbauelloks ersetzen, sondern auch nach und nach die in die Jahre gekommenen Einheitselloks ablösen sollten. Angesichts der technischen Entwicklung seit Mitte der siebziger Jahre kam nur die Beschaffung einer Drehstromlok in Frage.

Der Bau der Baureihe 111 war 1975 ein Notbehelf gewesen, weil die Drehstromtechnik noch keinen praxistauglichen Stand erreicht hatte. Auch die Vorserien-120 erwiesen sich zunächst als noch nicht ausgereift. Es dauerte fast vier Jahre, um die fünf Maschinen der Reihe 120.0 zu optimieren. Nach zahllosen Runden vor Geisterzügen und grundlegenden Verbesserungen im Jahr 1983 galt die Baureihe 120 im Frühjahr 1984 als serienreif. Obwohl die Loks dringend benötigt wurden, unterblieb die Bestellung wegen der prekären finanziellen Situation der DB. Erst nach fast einem Jahr gelang es dem Vorstand unter Reiner-Maria Gohlke, den Bund zu neuen Investitionen zu bewegen. Ende 1984 bestellte die DB insgesamt 60 Loks zum Stückpreis von 5,45 Millionen Mark, die zur Unterscheidung von der Vorserie die Baureihenbezeichnung 120.1 erhielten.

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