Baureihe 120.1

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Probleme und Schwierigkeiten

Schon der Bau der Lokomotiven stand unter keinem guten Stern. Für die Lokomotivindustrie war es nach mageren Jahren ein überlebenswichtiger Auftrag, an dem kaum etwas verdient worden sein dürfte. Für die Techniker war es angesichts des rasanten Fortschritts in der Mikroelektronik und der Diagnosetechnik schwierig, den Entwurf festzuschreiben. Und dann platzte mitten in die Rohbaufertigung der Lokomotiven die Erkenntnis, dass die Führerstände der Lokomotiven druckdicht sein mussten.

Zur Kostenersparnis hatte man die Tunnelquerschnitte auf den Neubaustrecken Stuttgart – Mannheim und Würzburg – Fulda (– Hannover), wo die 120.1 eingesetzt werden sollten, verringert. Messungen hatten gezeigt, dass bei der Begegnung zweier Züge im Tunnel mit jeweils 200 km/h starke Druckwellen entstehen, die nicht ohne Folgen auf die Gesundheit bleiben konnten. Für die Lokpersonale, die unter Umständen mehrmals täglich über einen Streckenabschnitt mit zahlreichen Tunneln pendeln mussten, war dies unzumutbar. Wie die Wagen auch mussten die Lokomotiven abgedichtet werden.

Welchen Aufwand das bei den bereits fertiggestellten Führerständen bedeutete, kann man sich leicht ausmalen. Die Konstrukteure hatten auf dieses Problem keinerlei Rücksicht nehmen können – nun begann die Suche nach den vielen kleinen Öffnungen für Kabel und Entwässerungsbohrungen, an denen Luft eindringen konnte. Die Abdichtung erforderte gleichzeitig eine neue Lösung für den Luftaustausch, denn der Führerstand war ja ein Arbeitsplatz. Schließlich stellte sich auch noch heraus, dass bei einer Schnellbremsung das Ventil in den Führerraum entlüftet und in diesem Fall der Druck von innen her anstieg und nicht abgebaut werden konnte.

Auch die Inbetriebnahme der Lok – im Dezember 1986 wurde 120 106 als erste fertiggestellt – stieß auf zahlreiche Hindernisse. Als überaus schwierig erwies sich die Abstimmung der technischen Komponenten und die Entwicklung der Software. Das Zusammenspiel aller elektronischen oder elektronisch gesteuerten Elemente ergibt ein hochkomplexes System, das zudem noch dem rauen Betriebsalltag standhalten und zahlreichen Sicherheitsanforderungen entsprechen muss.

Keine fährt! Und Pech kommt dazu …

1986 lieferten Krauss-Maffei, Thyssen-Henschel und Krupp Lok für Lok an die DB ab, aber keine der Maschinen tauchte im Betriebsdienst auf. Beim Bau der Lokomotiven war arbeitsteilig vorgegangen worden, um die Kosten für die sehr kleine Serie in Grenzen zu halten: Krauss-Maffei fertigte die Führerstände und Zwischenwände, Krupp die Drehgestelle und das Dach und Thyssen-Henschel die Untergestelle und Seitenwände. Die Baugruppen tauschte man untereinander aus. Je 20 Lok wurden bei jedem Hersteller endmontiert und ausgerüstet. Den elektrischen Teil lieferten AEG, Siemens und BBC. Diese Endmontage erfolgte im AW Freimann, ebenso wie der Einbau der LZB und des Zugbahnfunks durch die DB. Und in der Halle 54 des AW Freimann, wo diese Arbeiten erfolgten, brummte, summte und rauschte es wie in einem Bienenstock.

Die Prozedur der Abstimmung der Komponenten war im Prinzip bereits von der Indienststellung des ICE-V her bekannt. Naturgemäß dauert sie bei den ersten Fahrzeugen besonders lang, die späteren Lieferungen profitieren dann von den Erfahrungen, die man zu Anfang macht. Nach den durch die Abdichtung der Führerstände bedingten Verzögerungen traten nun neue Hindernisse auf, die viel Zeit in Anspruch nahmen.

Die offizielle Übergabefeier der ersten Serienlok (120 103) am 13. Januar 1987 mit Bundesverkehrsminister Josef Dollinger erwies sich somit als verfrüht. Änderungswünsche der Bahn verzögerten die Lieferung der elektrischen und elektronischen Ausrüstung, die im Januar 1987 noch nicht vollständig zur Verfügung stand, weiter. Auch im Februar 1987 bewegte sich noch keine Lok von selbst, erst im März 1987 gab es die ersten Gehversuche. Und es dauerte noch über einen Monat, bis erstmals ein Betriebseinsatz erfolgte. An besagtem
27. April 1987 wagte man die Bespannung des D-Zuges 302 von München nach Nürnberg mit der 120 103 vor der planmäßigen 111 027. Die Rückfahrt nach München unternahm 120 103 dann wie beschrieben vor dem IC 21 allein. Glücklicherweise ging die erste Fahrt vor einem Planzug ohne Angstlok gut! Derartige Einsätze blieben aber zunächst noch absolute Ausnahmen.

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