Die T 20

Baureihe 95: Zweifel an der Kraft der Reibung

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Der Raum Rübeland/Elbingerode brauchte für seine riesigen Vorkommen an fast reinem Kalk die Eisenbahn als billiges und schnelles Transportmittel. So war die Halberstadt-Blankenburger Eisenbahn auch wieder Vorreiter, als es um die Ablösung des Zahnradbetriebes durch den reinen Reibungsbetrieb ging. Ziel der HBE war es, den Harz von Ost nach West zu durchqueren. Die Strecke führte vom Königreich Preußen durch das Herzogtum Braunschweig und nach Rübeland wieder über preußisches Gebiet. Direktor Steinhoff von der HBE wagte im Oktober 1916 den Schritt und beauftragte die Firma August Borsig in Berlin-Tegel mit dem Bau einer fünffach gekuppelten Tenderlok. Kurz danach wurde der Auftrag in eine 1’E1’-Lokomotive präzisiert. Die Maschine sollte in der Lage sein, auf den Zahnradstrecken 220 Tonnen Bruttomasse im Reibungsbetrieb zu fördern.

Die Lokomotiven für die HBE entstanden unter Leitung des Chefkonstrukteurs der Firma Borsig, August Meister. Die erste Maschine verließ im Februar 1920 das Werk. Unter der Leitung von Direktor Steinhoff begannen auf einer Steigung von 60 Promille die Versuchsfahrten. Nur zur Erinnerung: Nach dem Paragrafen 7 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung waren auf freier Strecke in dieser Zeit 40 Promille Neigung (1:25) zulässig. Trotz Schneetreibens beförderte die Lokomotive auf der 60-Promille-Steigung eine Wagenzugmasse von 240 Tonnen. Bis Jahresanfang 1921 waren alle vier der bestellten Lokomotiven ausgeliefert.
Die gedrungenen Maschinen mit 9.550 mm Gesamtachsstand, 1.100 mm Treibrad- und 700 mm Zylinderdurchmesser erhielten Namen als kräftig geltender Tiere – Mammut, Wisent, Büffel und Elch – und wurden fortan als Tierklasse bezeichnet. Das Reichsverkehrsministerium beobachtete die Versuchsfahrten der Tierklasse mit großem Interesse, hatte man doch im Bereich der Direktionen Mainz, Frankfurt (Main), Kassel und Erfurt ebenfalls Zahnradstrecken. Die preußische T 161, die eine mit der Tierklasse vergleichbare Reibungsmasse besaß, schaffte auf 60 Promille Steigung lediglich eine Zugmasse von 140 Tonnen.
Das Eisenbahn-Zentralamt (EZA) bestellte auf Weisung des Reichsverkehrsministeriums bei der Fa. August Borsig zehn 1’E1’-Tenderlokomotiven nach dem Vorbild der Tierklasse, um den Zahnradbetrieb auf den Steilstrecken zu beenden und schwere Güterzüge auf den Mittelgebirgsstrecken nachzuschieben. Die Lokomotive erhielt die Gattungsbezeichnung T 20.

Auch andere deutsche Bahnverwaltungen entwickelten Lokomotiven, um schwere Züge befördern zu können bzw. um Zahnradbetrieb abzulösen oder schwere Züge ungeteilt durch Nachschub über die Rampen zu befördern. Württemberg hatte, wie auch Baden und Sachsen, die preußische G 12 (1’Eh3) als schwere Güterzuglok beschafft. Eine Leistungssteigerung durch Erhöhung der mittleren Kuppelradsatzfahrmasse ließ das Schienennetz nicht zu. So wählte man zur Erhöhung der Zugkraft anstelle des Dreizylinder-Triebwerkes ein Vierzylinder-Triebwerk und nutzte den Vorteil der zweifachen Dampfdehnung einer Verbundmaschine. Dem Triebwerk fügte man einen weiteren Kuppelradsatz hinzu und kam zur für Deutschland einmaligen Achsfolge 1’F bei der württembergischen Gattung K.

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