Die T 20

Baureihe 95: Zweifel an der Kraft der Reibung

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Die Maschine, von der DRG als Baureihe 59 bezeichnet, besaß im Gegensatz zur G 12 (82,5 Tonnen) eine Reibungsmasse von 93,7 Tonnen. Der Zuwachs an Zylindervolumen gegenüber der T 20 war relativ gering und konnte auch durch den um ein bar höheren Kesseldruck nicht ausgeglichen werden. Die württembergische K kam auf der Geislinger Steige nicht ohne Schiebelok aus. Den Bogenlauf des Sechskupplers hatte man mittels geringer Kuppelradabstände gelöst, die möglich wurden, weil man die Bremsklötze unterhalb der Achsmitte anordnete.

Bei einer Steifrahmenlok war der Durchmesser der Außenzylinder auf ca. 750 mm begrenzt. Größere Zylinder waren nicht mehr profilfrei unterzubringen. Es sei denn, man baute eine Lokomotive mit geteiltem Triebwerk, z. B. der Bauart Mallet. Die Bayerische Staatsbahn hatte solch eine Lok mit acht gekuppelten Radsätzen (D’Dh4vt) als Gattung Gt 2 x 4/4 in Dienst gestellt. Das hintere Hochdruck-Triebwerk war fest im Rahmen gelagert, das vordere Niederdruck-Triebwerk im Drehgestell untergebracht. Hier war ein Zylinderdurchmesser von 800 mm möglich (HD-Zylinder 520 mm). In der Bauform 1923 kam die Gt 2 x 4/4, von der DRG als Baureihe 96 bezeichnet, bei einer Radsatzfahrmasse von 16 Tonnen auf eine Reibungsmasse von 127,6 Tonnen.

Nicht die Masse macht’s
Die um mehr als 32 Tonnen höhere Reibungsmasse der bayerischen Gt 2 x 4/4 gegenüber der T 20 bedeutete nicht automatisch eine höhere Leistung. Eine Mallet-Lokomotive hat zwei Nachteile. Beim Anfahren kann es vorkommen, dass durch den in den Verbinder gelangenden Frischdampf das anteilige Drehmoment der Niederdruckzylinder übergroß wird und das Triebwerk zum Schleudern bringt. Dieses Schleudern bewirkt in den engen Hilfsdampfkanälen einen Druckabfall im Verbinder. Der Druck in den HD-Zylindern steigt und erzeugt ein Schleudern der Hochdruckmaschine.

Die Mallet-Maschine ist also nicht nur beim Anfahren vorsichtiger zu bedienen als eine Einrahmenmaschine, auch auf der Strecke ist eine erhöhte Aufmerksamkeit bei geminderte Haftreibung  durch Feuchtigkeit, Laubfall oder Überfrieren erforderlich. Eine weitere Eigenheit der Mallet-Lokomotive ist das Kippmoment, das bei der Fahrt mit dem Schornstein voraus auftritt und das vordere Triebwerk entlastet. Bei der Steifrahmenlok tritt dieses Kippmoment auch auf, doch wird es durch die gekuppelten Radsätze ausgeglichen.

Auf starken Steigungen werden als Schublokomotiven vorzugweise Tenderlokomotiven verwendet. Damit vermeidet man, die tote Masse eines Schlepptenders auf den Berg zu ziehen, und die Vorräte können (teilweise) als Reibungsmasse genutzt werden. Die gegenüber einem Schlepptender geringere Menge der Vorräte ist kein Nachteil, weil die Lokomotive nur auf einem relativ kurzen Abschnitt am Zug verbleibt. Die Vorteile der Tenderlok sind nicht nur beim Schieben, sondern auch als Zuglok gegeben.

Versuchsfahrten mit der Tierklasse und der preußischen T 20 veranlassten die Hauptverwaltung zum Erlass vom 27. Juli 1924, der nun eine Steigung von 70 Promille im Reibungsbetrieb zuließ. Voraussetzungen dafür waren aber eine Sandstreueinrichtung für alle gekuppelten Radsätze und eine Riggenbach-Gegendruckbremse auf der Lok. Die Last auf den Berg zu schleppen war der eine Teil der Übung, sie wieder wohlbehalten ins Tal zu bringen der andere. Das bedingte eine Druckluftbremse an allen Wagen, die aber nur als zusätzliche Sicherheit diente, denn ihr alleiniger Einsatz hätte unvertretbar hohe Kosten durch den Verschleiß an Bremsklötzen und Radreifen verursacht. Beim Betrieb der Gegendruckbremse, die der Schweizer Nikolaus Riggenbach erfunden hatte, wird die Steuerung entgegen der Fahrtrichtung ausgelegt. Die Bremswirkung entsteht, weil die angesaugte Luft in den Zylindern verdichtet wird.

Bei der Bestellung der zehn 1’E1’-Lokomotiven nach dem Vorbild der HBE, die das Eisenbahn-Zentralamt bei Borsig in Auftrag gab, konnte es nicht um einen Nachbau der bewährten Harzbahn-Maschinen gehen. Den als Gattung T 20 der Preußischen Staatsbahn vorgesehenen Lokomotiven waren andere Aufgaben zugedacht, als nur eine Strecke wie Blankenburg – Tanne zu bedienen. Die T 20 war für den Einsatz auf Hauptbahnen bestimmt und musste folglich auch, wenn sie im Schubdienst eingesetzt war, die Geschwindigkeit der Zuglok erreichen. Das war z. B. die G 12 mit 65 km/h. Die HBE-Loks kamen mit 50 km/h Höchstgeschwindigkeit aus.

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