Das Bw Ottbergen und seine 44er

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Etwa ab Mitte der 1960er-Jahre kam deutlich Bewegung in die Entwicklung des Ottbergener Bestandes an Lokomotiven der Baureihe 44. Und das hatte folgende Ursache: Bis 1963 war die Nord-Süd-Strecke Hannover – Bebra – Würzburg als eine der am stärksten belasteten Verkehrstrassen der Deutschen Bundesbahn vollständig elektrifiziert worden. Der Güterverkehr war derart umfangreich, dass bei der Aufnahme des elektrischen Betriebes noch gar nicht genügend neue Elloks zur Verfügung standen.

Daher gab das Bw Göttingen Rangierbahnhof erst 1965 seine letzte 44er an das Bw Northeim ab, das dann seinerseits den Bestand 1967 komplett auflöste und dem Bw Ottbergen überstellte. Dieses konnte so zum Jahresende 1967 nicht weniger als 30 Loks der Baureihe 44 sein eigen nennen. Das war nun der größte 44er-Bestand der Direktion Hannover. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war Ottbergen das Schwerpunkt-Bw für die 44er dieser BD geworden.

In der ersten Jahreshälfte 1972 wurde dieser Konzentrationsprozess vollendet, nun beheimatete in der Direktion Hannover nur Ottbergen noch 44er, und zwar 42 Exemplare (1. Juli 1972). 1973 wurden dann sogar einige 44er aus anderen Direktionen (Essen, auch Stuttgart) nach Ottbergen versetzt, sodass der Bestand auf 48 Loks anstieg. Das war einer der höchsten Werte in der gesamten Ottbergener Stationierungsgeschichte.
Weites Einsatzgebiet
Es stellt sich natürlich spätestens hier die Frage, wo und wie diese imposante Zahl an schweren Güterzugloks eingesetzt wurde. Dazu ist anzumerken, dass in den frühen 1970er-Jahren Ottbergen von allen bundesdeutschen 44er-Standorten das weitaus größte Einsatzgebiet aufwies.

Es reichte – einmal ganz einfach ausgedrückt – vom Ostrand des Ruhrgebietes bzw. der holländischen Grenze bis zur Grenze der DDR im Norden und Süden des Harzes! Ottbergener 44er fuhren auf weit mehr als 1.000 Kilometern Strecke, wie die Übersicht zeigt.

Beim Studium der Streckenübersicht fällt auf, dass Braunschweig viermal erwähnt wird. Tatsächlich hatte sich die Industriestadt mit ihrem großen Rangierbahnhof seit dem Ende der 1960er-Jahre zu einem wichtigen Ziel für die Ottbergener 44er entwickelt. Dabei trat die Flachland-Hauptbahn von Lehrte nach Braunschweig bzw. Salzgitter-Beddingen immer mehr in den Vordergrund. Dort stellten bis zu 2.000 Tonnen schwere Güterzüge für die 44er etwas Alltägliches dar.

Im Sommerfahrplan 1973 wurden im täglichen Plandienst 21 Loks benötigt. Diese legten im Schnitt 235 Kilometer am Tag zurück. Zum Vergleich: Im Winter 1970/71 waren es noch 27 Loks mit 350 km/Tag gewesen.

Mehrere Maschinen befanden sich im AW Braunschweig, das seit den 1960er-Jahren für die Unterhaltung der Ottbergener 44er zuständig war. Drei Loks standen in Ottbergen schon auf „z“, also zur Ausmusterung bereit. Außerdem waren 44er für Sonderleistungen (Militärzüge) betriebsbereit. Trotzdem gab es zu dieser Zeit bereits einen deutlichen Überplanbestand. Bis zum Mai 1976, dem letzten Monat des Dampfeinsatzes in Ottbergen, sank der 44er-Bestand weiter auf 25 Stück.

Die 44er fuhren in erster Linie auf Mittelgebirgsstrecken, wo die Traktion von bis zu 1.200 Tonnen schweren Güterzügen über mehrere lange 10-Promille-Steigungen Alltag war. Das eindrucksvollste Einsatzgebiet war sicher die 17 Kilometer lange Rampe von Paderborn nach Altenbeken, wo 150 Meter Höhenunterschied bezwungen werden mussten. Die Maximalneigung dort betrug 13 Promille.

Als Grenzlast galten 1.140 Tonnen. Um ein Liegenbleiben zu verhindern, wurde dort insbesondere bei Feuchtigkeit oder Laubfall im Herbst auch mit Schiebelok gefahren. Auch auf den langen Steigungen am Solling bei Ertinghausen sowie am südöstlichen Harzrand bei Osterhagen hatten es die Drillinge aus Ottbergen nicht leichter …

Die Strecken um Braunschweig waren zwar weniger steigungsreich, wiesen dafür aber bedeutend höheren Zuglasten auf. Besonders markant waren die 1.840 Tonnen schweren Kohlenzüge in der Ruhrgebiet-Berlin-Relation, die auf dem 81 Kilometer langen Abschnitt Lehrte – Braunschweig – Helmstedt bei knappen Fahrzeiten von Ottbergener 44ern – teilweise auch von 50ern des Bw Lehrte – geschleppt wurden.

Zur Vollständigkeit muss auch erwähnt werden, dass die 44er planmäßig auch Reisezüge über kurze, aber steigungsreiche Strecken zogen, z. B. von Bad Harzburg nach Goslar oder von Göttingen über Dransfeld nach Hannoversch Münden. Auch kam es mitunter zu Ersatzleistungen für ausgefallene Diesel- oder Elloks im Reisezugdienst. Insgesamt stellte der Reisezugdienst jedoch nur einen unbedeutenden Anteil an den Einsätzen der Ottbergener 44er dar.

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