Die „Tausender“

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Bebra: Nord-Süd-Strecke
Das hessische Bw Bebra hatte bereits im Jahr 1940 einige 01.10 fabrikneu behalten, ihre Blütezeit erlebte die Baureihe dort aber erst ab Mitte der 1950er-Jahre: Haupteinsatzgebiet war die Nord-Süd-Strecke von Hamburg nach Würzburg, die nach der deutschen Teilung stark an Bedeutung gewonnen hatte. Langläufe führten die Loks sogar bis Lübeck im Norden oder Treuchtlingen und Bamberg im Süden. Eingesetzt wurden sowohl kohle- als auch ölgefeuerte Loks, neben Bebraer Personal fuhren auch Bundesbahner aus Hannover und Würzburg auf den „Tausendern“.

Befördert wurden die schwersten und wichtigsten Schnellzüge, die moderne Konkurrenz in Form der V 200 stellte keine wahre Herausforderung für die 01.10 dar, die der Diesellok deutlich überlegen war. Was für ein Erfolg die Ausrüstung mit dem neuen Kessel war, zeigen auch die durchschnittlichen Laufleistungen. Erreichten die Loks um 1949 rund 11.000 Kilometer monatlich, so waren ab 1956 26.000 und mehr pro Monat keine Ausnahme. Die aufgestellten Laufpläne jener Jahre wiesen immer mehr als 800 Laufkilometer pro Tag auf, erwähnenswert sind 1.188 Kilometer an einem Tag aus dem Sommerfahrplan 1957.

Die Herrlichkeit währte ein paar Jahre, bis die Elektrifizierung Bebra erreicht hatte: Bis zum Sommer 1963 gab das Bw Bebra seine 01.10 an das nicht weit entfernte Bw Kassel ab. 28 Loks der Baureihe 01.10 haben einmal das Schild „Bw Bebra“ getragen.

Kassel: Main-Weser-Bahn
Das Bw Kassel-Bahndreieck hatte bereits 1944 Bekanntschaft mit der Baureihe 01.10 gemacht. Erwähnenswerte Leistungen erbrachten die Loks aber erst nach dem Abbau der Stromschale, richtig ins Laufen kamen sie schließlich mit ihren neuen Kesseln. Die Kasselaner Schnellzugloks fuhren in erster Linie auf der Main-Weser nach Frankfurt und erreichten auch Ziele wie Würzburg, Bebra, Hannover und Hamm. Nachdem Kassel im Frühjahr 1963 die meisten 01.10 aus Bebra übernommen hatte, gab es hier erstmals einen Überbestand: Stück für Stück wurden vor allem kohlegefeuerte Maschinen an das Bw Osnabrück Hbf weitergereicht.

Im folgenden Jahr war ein besonderer Abschied zu feiern: Das Bw Kassel fuhr letztmals den F 44 zwischen Kassel und Frankfurt mit einer 01.10, danach war die Zeit der dampfbespannten, innerdeutschen Fernschnellzüge vorüber.

Danach schränkte die Elektrifizierung das Einsatzgebiet der 01.10 in Kassel immer weiter ein. Von Frankfurt her ereichte der Fahrdraht erst Gießen, dann im März 1967 auch Kassel: Für die 01.10 gab es jetzt fast nichts mehr zu tun. Folgerichtig wurden die meisten Loks abgegeben: Die ölgefeuerten 01.10 wanderten in den hohen Norden zum Bw Hamburg-Altona, wo eine neue 01.10-Gruppe aufgebaut wurde, die Kohleloks gingen bis auf wenige Ausnahmen an das Bahnbetriebswerk Rheine, einem weiteren neuen 01.10-Bw. Es sollte später das letzte werden …
Als Reserveloks, u. a. als Ersatz für die häufig ausfallende 10 001, behielt Kassel noch die kohlegefeuerten 01 1056, 1062 und 1087. Während ers-
tere 1968 ausgemustert wurde, erlebten die letzteren noch das EDV-Nummern-Zeitalter und roll-ten erst im Frühjahr 1970 als 011 056 und 011 062 gen Rheine. Für 32 01.10 war Kassel-Bahndreieck einmal Heimat-Bw gewesen.    

Martin Weltner

In Heft 11/2010 wird der Beitrag mit den Lok­einsätzen in Hamburg und Rheine fortgesetzt.   

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