Die 03.10 der Bundesbahn

Im Führerstand dabei: Die einen loben ihre Form, die anderen finden sie hässlich. Kaum eine Baureihe polarisiert so sehr wie die Neubaukessel-03.10

Text: Wilhelm Bunse/Helmut Brinker

 
So viel Qualm muss eigentlich nicht sein:Im Winter 1961 steht 03 1008 abfahrbereit mit einem Schnell- zug im Bahnhof Finnentrop Helmut Säuberlich/Slg.H.Brinker © Helmut Säuberlich/Slg.H.Brinker

Wohl kaum eine Dampflokbaureihe der Deutschen Bundesbahn hat Gegner und Befürworter so extrem in zwei Lager gespalten wie die Neubaukessel-0310. Nicht nur Eisenbahnfreunde gerieten bei ihrem Anblick ins Entzücken, auch ein Teil der Lokpersonale war voll des Lobes und bedauerte den viel zu frühen Abgang dieses ebenso formschönen wie eigenwilligen „Rennpferdes“. Lokführer Wilhelm Bunse aus Scherfede verbrachte zwar nur drei Jahre auf dem Führerstand der ehemaligen Stromlinienlokomotive, doch gerade diese kurze Zeit – vielleicht die schönste seines Lebens – bestimmt noch heute eindrücklich die Erinnerungen an ein erfülltes Berufsleben. Warum überwogen die Vorzüge der 0310 ihre Nachteile? Warum besaß der Begriff „Kunstfehler“ durchaus auch bei der Eisenbahn Geltung?

Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen:
Von 1963 bis zu ihrer Ausmusterung im September 1966 gab das Bw Hagen-Eckesey einen Teil seiner 0310-Leistungen auf den Strecken Hagen – Scherfede – Braunschweig, Hagen – Warburg – Kassel sowie Hagen – Soest – Kassel an das Bw Bestwig ab. Zu dieser Zeit fuhr ich, nach erfolgreichem Abschluss der Lokführerprüfung, beim Bw Bestwig planmäßig als Heizer.

Zu einer wahren Schönheit wurde die Baureihe 0310 nach dem Einbau des Neubaukessels in den Jahren 1957 bis 1959. Aber Schönheit ist nicht alles. Was noch mehr zählte, war der gesteigerte Fahr- und Bedienungskomfort dank der baulichen Veränderungen, die das AW Braunschweig im Rahmen der Neubekesselung vorgenommen hatte. Besonders zu erwähnen wären die Kohlennachschubeinrichtung, die luftbediente Feuerklappe und nicht zuletzt die Rollenlager und der damit verbundene, bemerkenswert ruhige Lauf der Lokomotive – wer einmal die 23er gefahren hat, weiß, wovon ich spreche. Das geschlossene Führerhaus der 0310, mit dem Tender durch Gummibälge verbunden, war gegenüber anderen Lokgattungen die reinste Wohnstube. Die Stehkesselrückwand, stets geputzt, glänzte vor Sauberkeit.

Sogar Holzgriffe wie die an der Feuerklappe, den Prüfhähnen der Wasserstände und dem Anstellventil der Strahlpumpe wurden von den Planpersonalen mit schützender Farbe versehen. Die eine Lok besaß dunkelrote, die andere schwarze Griffe.

War die 0310 also insgesamt eine wunderbare Schnellzuglokomotive, so besaß sie doch eine empfindliche Schwachstelle: Bei hohem Kesselwasserstand und geöffnetem Heißdampfregler neigte sie zum Wasserüberreißen. In der Folge setzten sich Schlammpartikel im Regler ab, was dessen Schließfunktion stark beeinträchtigen konnte. So mancher Lokführer hat mit diesem Übel Bekanntschaft gemacht. Anfang der sechziger Jahre war ich beim E 442 im Bahnhof Arnsberg Augenzeuge, wie das Hagener Lokpersonal mit Hilfe der sogenannten großen Spülung den festgebrannten Regler seiner 0310 wieder gangbar machen konnte.

Mit derartigen Hilfseinrichtungen wie auch durch sorgfältige Speisewasserinnenaufbereitung verlief der Betrieb mit der 0310 in der Folgezeit jedoch zunehmend störungsfrei, was die Verwaltung offenbar dazu bewog, aus Kostengründen auf den Rückbau der Heißdampfregeleinrichtung zu verzichten. Nur eine Lok, die 03 1021, erhielt anlässlich eines AW-Aufenthalts wieder den altbewährten Nassdampfregler. Wer also mit den Tücken der 0310 vertraut war und sie entsprechend ihrer Eigenheiten behandelte, verbrachte eigentlich nur gute Fahrten mit ihr.

Während meiner anfangs erwähnten Zeit als Heizer kam es des öfteren vor, dass ich als Lokführer eingeteilt wurde. So auch am Freitag, dem 20. August 1965. Es war der Dienstplan 61, Tag 2/3, eine Doppelschicht mit Dienstbeginn gegen 15 Uhr und Übernachtung in Soest. Mit der zugeteilten 03 1043 fuhr ich zunächst als Lz rückwärts von Bestwig nach Brilon Wald. Mit etwa 40 km/h bergwärts fahrend, bei schönstem sonnigen Wetter, begleitet von den rhythmischen Dreizylinderschlägen der Lok, begann der Dienst als reines Vergnügen.

Der E 791 Bad Wildungen – Amsterdam, je nach Wochentag mit acht bis zehn D-Zugwagen bestückt, wurde von einer 50er des Bw Treysa nach Brilon Wald gebracht, wo wir den Zug bis Hagen übernahmen. Die Fahrt verlief ohne jegliche Besonderheiten und nach Plan. Frisch restauriert hinterstellten wir die Schnellzuglok in ihrem Heimat-Bw Hagen-Eckesey.

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