Die 03.10 der Bundesbahn

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Als nächster „Programmpunkt“ stand die Übernahme des D 1195 Köln – Leipzig an, den wir von Hagen bis Soest fahren sollten. Dort vereinigte er sich mit einem Flügelzug, der mit einer Paderborner 01 bespannt war. Die Hagener Lokleitung hatte uns für die Zugleistung die 03 1060 zugeteilt. Nachdem wir die Lok im mächtigen Rechteckschuppen des Bw betriebsbereit gemacht hatten, rollten wir langsam Richtung Hauptbahnhof und meldeten uns beim Fahrdienstleiter an.

Dieser lenkte uns wie immer nach Gleis 104 im Vorfeld des Bahnhofs, wo wir geduldig auf die Ankunft des D-Zuges mit seiner Deutzerfelder E 10 warteten.
Mein Heizer beschickte derweil fleißig das Feuer mit Kohlen, was eine stetige Dampfdruckerhöhung zur Folge hatte. Wir waren beide 28 Jahre alt, hatten zusammen die Prüfung gemeistert, und nun vertrat ich seinen Planlokführer ...

Hätte er als Heizer nicht wissen müssen, dass man die Lok mit einem gut durchgebrannten Ringfeuer mittelfristig „in Schach“ halten konnte? Oder wollte er es nicht wissen? Sorgenvoll und mit einer gewissen Wut im Bauch beobachtete ich das Wirken meines Kollegen. „Jürgen, wirf doch nicht so viele Kohlen ins Feuer, Du weißt doch gar nicht, wann der kommt!“ platzte es aus mir heraus. Das Feuer hoch und hell, 16 bar Kesseldruck und der Lauf der Dampfstrahlpumpe – mit Grausen sah ich im Glas den stetigen Anstieg des Kesselwasserstandes.

Als Heizer war es mir immer ein Gesetz gewesen, den Kesselwasserstand der 0310 nie über die Mitte der Wasserstandsgläser steigen zu lassen. Nun aber musste ich mit ansehen, wie bewährte Prinzipien über Bord geworfen wurden. Bemüht, die Harmonie zu wahren, sprach ich mit meinem Kollegen über die Gefahren des Wasserüberreißens. Um aber nicht den großen Meister zu spielen, unterdrückte ich einen härteren Tonfall und öffnete stattdessen die Zylinderentwässerungshähne, legte die Steuerung auf Mitte und ließ durch die Zylinder Dampf ab.

Endlich war unser Zug aus Köln eingetroffen. Ankuppeln, Bremszettel entgegennehmen, Bremsprobe, Abfahrauftrag. Sehr behutsam, die Pyrometeranzeige nicht außer acht lassend, schob ich den Seitenzugregler nach vorne. Mein Gedanke war: Der Wasserstand muss bis Schwerte wieder in der unteren Hälfte sein. Mein Wunsch wurde wahr, wenn auch nur vorübergehend.

Mit hoher Leistung stemmte sich die Lok in die hinter dem Bahnhof Schwerte beginnende Steigung. Am Scheitelpunkt wurde der Regler geschlossen, und mit 120 km/h lief der Zug bis Unna. Was noch lief war die Strahlpumpe. In rauem Tonfall rief ich meinem Kollegen zu: „Pump da nicht so viel Wasser in den Kessel!“ Doch schon bei der Abfahrt in Unna hatte der Kessel wieder den gleich hohen Wasserstand wie zuvor in Hagen.

Wieder äußerste Vorsicht, besonders beim Anfahren. Die Pyrometeranzeige fiel zeitweilig ein wenig, aber der Regler blieb leichtgängig. Der Bahnhof Werl war erreicht – unser nächster Halt. Noch ahnte ich nicht, dass sich die Falschbehandlung unserer schwarzen Schönheit so konsequent rächen würde. Der Regler, bei der Anfahrt sanft in kleinen Schüben nach vorne gedrückt, riss sich plötzlich aus meiner Hand und schoss selbsttätig wie eine Kanonenkugel bis zum Anschlag.

Nach kurzer Verblüffung reagierte ich recht schnell, drehte die Steuerung sehr eng bei und ließ die Lok mit geöffneter Zylinderentwässerung und 16 bar im Schieberkasten weiterlaufen. Die kleine Reglerbrause geöffnet, hieß es nun den festgebrannten Regler wieder zu schließen. Trotz größter Kraftanstrengung bewegte er sich keinen Zentimeter. Schließlich versuchte ich, in gebückter Stellung auf dem Steuerrad stehend, mit ganzer Kraft den Regler zurückzuziehen. Dabei riss ich so heftig, dass sich die Haut meiner rechten Hand teilweise abschälte. Es nützte alles nichts – der Regler blieb offen. In diesem Zustand kamen wir an unserem Ziel in Soest an.

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