Die Baureihe 95: Mit Dampf nach Rübeland

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Doch die Eisenbahner in Blankenburg (Harz) hatten noch andere Probleme. Seit Kriegsende standen nur noch Briketts und Rohbraunkohle für die Lokomotivfeuerung zur Verfügung. Der deutlich geringere Heizwert bedeutete für die Heizer eine heute kaum noch vorstellbare Schinderei. Dennoch kam es fast täglich zu Zuglaufstörungen wegen Dampfmangel. Mancher Heizer musste den Kohlenkasten der T 20 in einer Schicht dreimal abräumen. Bereits im Sommer 1946 hatte die „Freiheit“, das Bezirksorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), darüber berichtet: „Wegen der außerordentlichen Leistungen, die von den Gebirgslokomotiven (...) verlangt werden, wurde früher nur beste westfälische Steinkohle verwendet, während jetzt fast ausschließlich Braunkohlenbriketts verfeuert werden müssen. Dadurch: quantitativer mehrfacher, auf den Steigungen 3- bis 4-facher Kohlenverbrauch bei äußerster physischer Beanspruchung des Lokomotivpersonals bei mehr als verdoppelten Kosten, bedeutend höherer Reparaturanfall an den Lokomotiven (zur Zeit über 50 v. H.!) (...).“

Besonderheiten des Steilstreckenbetriebs
Durch die Braunkohlenfeuerung stiegen die Instandhaltungskosten für die Kessel erheblich an. Der hohe Schwefelgehalt der Rauchgase führte zu einem größeren Verschleiß an den Kupferfeuerbüchsen, die nun in immer kürzeren Abständen ins Raw Meiningen mussten. Dazu kamen noch Probleme im Betriebsdienst. Zwar konnten die geforderten Lasten bergwärts anstandslos befördert werden, bei Talfahrten – besonders auf dem Abschnitt Hüttenrode – Blankenburg (Harz) – kam es jedoch Anfang der 1950er-Jahre immer wieder zu Betriebsstörungen.

Im Hinblick auf einen sicheren Steilstreckenbetrieb hatte die HBE umfangreiche Bremsvorschriften erarbeitet. Parallel zur Einführung des reinen Reibungsbetriebes auf der Rübelandbahn hielt in Deutschland die Druckluftbremse Einzug. Die HBE rüstete ihre Güterwagen im Unterschied zu den meisten anderen deutschen Bahnverwaltungen mit der mehrlösigen Kunze-Knorr-Druckluftbremse aus. Allerdings verzichtete die HBE nicht auf den Einsatz der Handbremse. Ganz im Gegenteil – Handbremsen spielten im alltäglichen Betrieb eine wichtige Rolle.

Die HBE griff auf die „Tonnenabbremsung“ zurück. In den Vorschriften der HBE hieß es dazu: „Die luftgebremsten (Wagen) werden getrennt von den hand- und ungebremsten Wagen berechnet, und zwar gelten die luftgebremsten Wagen als 100-prozentig abgebremst; von dem Gewicht der hand- und ungebremsten Wagen müssen 60 Prozent durch Handbremsen abgebremst sein.“ Im Betriebsdienst bedeutete das: Reichten die Bremshundertstel bei den hand- und ungebremsten Wagen nicht aus, mussten im druckluftgebremsten Teil des Zuges so viele Wagen von der Druckluftbremse abgeschaltet und mit Bremsern besetzt werden, bis die vorgeschriebenen 60 Prozent erreicht waren.

Bis 1950 gab es Dank dieser Regelung keine Probleme. Das änderte sich aber, als nach dem Zweiten Weltkrieg die Bremsausrüstung vieler Güterwagen verschlissen war und auf der Harzbahn immer mehr ungebremste Fahrzeuge sowie Wagen mit einlösiger Westinghouse-Güterzugbremse verkehrten. Die Direktion erkannte bereits 1950 das Problem und ordnete deshalb für alle talwärts fahrenden Güterzüge einen Betriebshalt in Braunesumpf an, wo die volle Bremsbereitschaft wieder hergestellt werden musste. Doch dies führte zu Störungen im Betriebsablauf. Daher ordnete die Generaldirektion im Oktober 1951 an, dass auf der Harzbahn nur noch druckluftgebremste Wagen, die nach Möglichkeit auch eine Handbremse hatten, eingesetzt werden sollten. Außerdem wurde mit der Ausarbeitung einer neuen Steilstreckenvorschrift begonnen. Diese lag jedoch erst 1957 vor. In der Zwischenzeit galt das alte HBE-Reglement.

Starke Loks für schwere Züge
Parallel dazu stockte die DR den Bestand der Baureihe 95 im Bw Blankenburg (Harz) weiter auf. Im Verlauf des Jahres 1951 mussten die Maschinen der Tierklasse abgestellt werden. Ursache dafür war der Kesselzerknall der 95 6679 im Raw Meiningen am 4. Mai 1951. Die daraufhin von der Generaldirektion angeordnete Untersuchung der anderen drei Tierklasse-Maschinen offenbarte den desolaten Zustand der Baureihe 9566, die nun für längere Zeit ausfiel. Als Ersatz trafen daher noch 1951 die 95 016, 95 028 und 95 043 im Harz ein. Dort waren nun sechs T 20 vorhanden, von denen vier planmäßig täglich im Einsatz waren.

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