Die Baureihe 95: Mit Dampf nach Rübeland

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Der Steilstreckendienst stellte hohe Anforderungen an die Eisenbahner, vor allem bei Talfahrten. Hier war Fingerspitzengefühl gefragt – besonders auf dem 4,4 Kilometer langen Abschnitt Hüttenrode – Michaelstein. Bei der Abfahrt in Hüttenrode wurde der Zug durch die Lok nur kurz angezogen, damit er langsam in das Gefälle (maximal 1 : 16,66) rollte. Zeitgleich stellte der Lokführer die Riggenbach-Gegendruckbremse an. Bevor der Zug in Fahrt kam, wurden die Wagen gebremst. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug nur 20 km/h. Erst in der Waagerechten bei Braunesumpf wurden die Bremsen ausgelöst und die Luftleitung wieder aufgefüllt. Danach passierte der Zug den Bielstein-Tunnel. Dahinter ging es wieder bergab. Der „Hohe Damm“, ein etwa 150 Meter langer waagerechter Abschnitt, erleichterte ein wenig das Bremsen. Dann folgte der Gefälleabschnitt, der erst 100 Meter vor der Einfahrweiche der Spitzkehre Michaelstein endete. In dieser Viertelstunde mussten die Lokführer ihr ganzes Können beweisen.

Die Elektrifizierung der Rübelandbahn
Im Zuge des „Chemieprogramms der DDR“ sollten die Kalktransporte auf der Rübelandbahn bis 1970 auf rund drei Millionen Tonnen jährlich ansteigen. Einschließlich der Frachten für den Eisenerz- und Schwefelkiesbergbau sowie der Forstwirtschaft erwartete die DR auf der Steilstrecke ein Transportvolumen von über vier Millionen Tonnen. Dieser Verkehr konnte jedoch nicht mehr mit den Dampfloks der Baureihe 95 abgewickelt werden. Nach umfangreichen Voruntersuchungen beschloss das Ministerium für Verkehrswesen am 3. Juli 1959 die Elektrifizierung der Strecke Blankenburg (Harz) – Elbingerode. Die dazu notwendigen Arbeiten begannen 1963.

Das Ende der Baureihe 95 im Harz
Zwei Jahre später zeichnete sich schließlich das Ende der T 20 im Harz ab. Für den ab 30. Mai 1965 gültigen Fahrplan stellte das Bw Blankenburg (Harz) letztmals einen Dampflokumlauf für die Rübelandbahn auf. In den Plänen 1 bis 7 wurden sechs Planloks und eine Bereitschaftsmaschine der Baureihe 95 benötigt. Die Loks bespannten fast ausschließlich Güterzüge auf der Strecke Blankenburg (Harz) – Rübeland. Einzige Ausnahme war das Zugpaar P 1208/1209 nach Halberstadt. Damit wurden die T 20 zum Bw Halberstadt überführt, das Ende 1963 für die Unterhaltung aller Blankenburger Dampfloks zuständig war.

Entgegen den sonst üblichen Regelungen bei der DR trennte das Bw Blankenburg (Harz) in den Plänen der Baureihe 95 Lok und Personal. Die Maschinen fuhren jeden Tag den gleichen Umlauf (daher sieben Pläne), das Personal wechselte hingegen täglich die Lok. Planmäßig wurden der nächtliche Nahgüterzug 9580 und der abendliche Nahgüterzug 9608 mit drei T 20 bespannt. Die anderen Güterzüge auf der Steilstrecke fuhren planmäßig mit zwei Loks in Richtung Rübeland. War die Last jedoch zu groß, wurde die Bereitschaftslok (Plan 7) als Vorspann genutzt. Im Sprachgebrauch der Eisenbahner war die Bereitschaftslok die „7. Berglok“. Diese wurde 1964 bei rund 60 Prozent aller Güterzüge nach Rübeland benötigt.

In der Gegenrichtung wurden die Güterzüge von Rübeland meist von einer T 20 nach Hüttenrode gebracht. Dort wurde immer eine Schiebelok angekuppelt, so dass das Umsetzen in Michaelstein entfallen konnte. Außerdem wurden einige 95er auch als Arbeits- und Bauzugmaschinen während der Streckenelektrifizierung eingesetzt.

Planmäßig konnten im Herbst 1965 die Arbeiten an der Rübelandbahn beendet werden. Am Abend des 30. November 1965 stellten die Lokpersonale die Maschinen mit einem Reservefeuer ab. Am 1. Dezember 1965, 0 Uhr, nahm die DR auf der Strecke Blankenburg (Harz) – Elbingerode die elektrische Zugförderung auf. Da es mit den Elektroloks der Baureihe E 251 keine nennenswerten Schwierigkeiten gab, wurden die T 20 in den folgenden Tage kalt abgestellt.

Gleichwohl wurden einige Maschinen, wie zum Beispiel die 95 014 (18 Tage), die 95 036 (vier Tage), 95 028 (14 Tage) und 95 043 (21 Tage) noch zeitweise eingesetzt. Bereits 1966 zog die DR fünf Maschinen der Baureihe 95 ab. Die anderen Tenderloks wurden konserviert abgestellt. Da im Bahnhof Blankenburg (Harz) nicht genügend Abstellgleise vorhanden waren, wurden einige Maschinen nach Halberstadt geschleppt. Dort standen sie konserviert als Rbd-Reserve im Ortsgüterbahnhof in der Schützenstraße.

1967 gab das Bw Blankenburg (Harz) weitere vier Maschinen ab. Damit gehörten am 1. Januar 1968 buchmäßig noch 95 016, 95 025, 95 027,

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