Die V 320 001 von Henschel: Einzelgänger mit großer Fangemeinde

Sie war einst die größte, schnellste und stärkste Diesellok der Deutschen Bundesbahn. Und dennoch blieb sie stets ein Einzelstück. Eine falsche Entscheidung? Von Felix Löffelholz
 
Aus dem Allgäu kommend erreicht die V 320 den Münchner Hauptbahnhof. Auf der Seite trägt sie einen Aufkleber zur Verkehrsausstellung 1965Friedhelm Ernst © Friedhelm Ernst

She’s a monster, beautiful monster!“ Auf kaum eine andere Diesellok trifft diese Passage aus einem aktuellen Titel des US-Sängers Ne-Yo besser zu als auf die V 320 001. Zwar ist die Maschine aus der Frontalperspektive eher unspektakulär anzusehen – eben das kantige und vertraute Gesicht der V-160-Familie. Doch von der Seite betrachtet offenbart die Lok ganz unvermittelt eine außerordentliche Wuchtigkeit und zugleich ihren ganz eigentümlichen Charme: Stolze 23 Meter Länge, dicke Kraftstofftanks an der Unterseite des Rahmens und zudem eine stattliche Anzahl beweglicher Lüftergitter, die ihr eine leicht reptilienartige Anmutung verleihen und hinter denen zwei jeweils 1.900 PS starke Motorenanlagen wummern. Alles zusammen 122 Tonnen Eisen und Stahl, verteilt auf sechs Achsen – in der Tat ein Monster. Aber ein schönes Monster!
Ob ihres massiven und zugleich vertrauten Aussehens kann man die V 320 als die „große Schwester der 218“ bezeichnen – und als ebensolche war sie ursprünglich auch konzipiert: Im Diesellok-Typenprogramm von 1955/1956 hatte die Deutsche Bundesbahn eine sechsachsige, zweimotorige Hochleistungslokomotive vorgesehen, die im schwersten Güter- und Schnellzugdienst auf nicht elektrifizierten Hauptstrecken zur Ablösung der Dampftraktion beitragen stehen sollte. Umgehend begann der Lokomotivbauer Henschel mit der Entwicklung einer solchen Maschine.
Ein aus heutiger Sicht nicht gerade realistischer Optimismus seitens der Bundesbahn bremste das Vorhaben jedoch schnell aus: Man rechnete mit der baldigen Elektrifizierung eben jener Strecken, auf denen die V 320 rentabel einzusetzen gewesen wäre. Entsprechend erkannte man nun doch keinen Bedarf mehr für eine Großdiesellok der höchsten Leistungsklasse. Stattdessen fokussierte die Bundesbahn ihren Blick auf die Entwicklung der einmotorigen, vierachsigen und wegen ihres geringeren Gewichts auch auf Nebenbahnen einsetzbaren V 160, der späteren 216, einschließlich weiterer Entwicklungen bis hin zur 218. Wo die Kraft einer V 160 nicht ausreichte, sollte sie eben in Doppeltraktion eingesetzt werden, was – mit den damaligen Motoren – im Wesentlichen der Leistungsfähigkeit einer V 320 entsprechen sollte.
Doch Henschel ließ nicht locker, baute ein Musterexemplar der V 320 – ohne Auftrag der Bundesbahn, auf eigene Faust, auf eigene Rechnung. Ahnte man, dass die flächendeckende Elektrifizierung doch nicht so schnell kommen würde? Rechnete man sich Exportchancen aus, selbst wenn die Bundesbahn nicht zugreifen würde? Oder vertraute man schlicht auf die Überzeugungskraft des Kolosses, wenn dieser denn erst einmal „zum Anfassen“ auf den Schienen stand? So oder so: Die Bundesbahn zeigte trotz ihrer insgesamt ablehnenden Haltung durchaus Interesse an dem Einzelstück, das unter der Herstellerbezeichnung DH 4000 im Dezember 1962 in Kassel fertig gestellt wurde und gemäß dem damals gültigen DB-Farbschema in Altrot mit schwarzem Rahmen sowie silbernem Dach und Zierstreifen lackiert war. Die Lok kam zum Bundesbahnzentralamt (BZA) München, um dort gründlich erprobt zu werden. Mit einer Anhängelast von 540 Tonnen fand schließlich im Januar 1963 die Abnahmefahrt von Nürnberg über die „Schiefe Ebene“ nach Marktschorgast statt.

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