EuroCity-Verkehr im Allgäu: International – und auch provinziell

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Vom Bahnhof Röthenbach aus wurden zwei Nebenbahnen gebaut, um größere Ortschaften anzuschließen: Eine hinab nach Weiler-Simmerberg (Eröffnung 1893; Länge: 5,7 Kilometer) und eine hinauf nach Lindenberg und Scheidegg (Eröffnung 1901; Länge: 9,9 Kilometer). Beide Strecken sind mittlerweile stillgelegt und abgebaut.

Da die Hauptbahn hinab nach Lindau geführt werden sollte, trassierten die Ingenieure die Gleise weiter in Richtung Hergatz, wo die Landschaft flacher wird und wieder auf die heutige EuroCity-Strecke von Memmingen trifft. In den bereits angesprochenen bayerischen Korridor, der bei Hergensweiler nur etwa zwei Kilometer bayerisches Territorium zwischen Baden-Württemberg und Vorarlberg offen lässt, zwängt sich die Bahn förmlich hinein, um vorbei an noch handbedienten Schrankenposten immer weiter bergab zu streben. Durch zahlreiche Obstgärten, die im Frühjahr ein prachtvolles Blütenmeer zaubern, und mit den schneebedeckten Alpengipfeln vor Augen erreicht der EuroCity schließlich mit angezogenen Bremsen das Ufer des „Schwäbischen Meeres“. Die Fahrt über den Bodenseedamm und die Ankunft im Jugendstilbahnhof auf der Bodenseeinsel mit ihrer historischen Altstadt setzt schließlich einen markanten und nochmals beeindruckenden Schlusspunkt an das Ende der zweieinhalbstündigen Genussreise von Oberbayern durch das Allgäu an den Bodensee.

Von nun an elektrisch
Die Motoren der 218 verstummen, und ans andere Ende setzt sich eine SBB-Lok der Serie Re 4/4. Einige ihrer Art können auch unter deutschem und österreichischem Fahrdraht eingesetzt werden, da sie einen zusätzlichen, breiteren Stromabnehmer besitzen. Äußerlich erkennbar sind die als Baureihe 421 bezeichneten Loks an ihrer auffälligen „Cargo“-Beschriftung. Nach kurzem Aufenthalt auf der Lindauer Insel wird der Zug weiter über den Westzipfel Österreichs, wo in der Vorarlberger Landeshauptstadt Bregenz gehalten wird, in den schweizerischen Grenzbahnhof St. Margrethen fahren. Weitere Halte werden schließlich in St. Gallen, Winterthur und am Züricher Flughafen folgen, ehe der Zielbahnhof Zürich HB erreicht wird.

Der See verbindet
„Internationales Flair“, so lautet ein häufig fallendes Stichwort, wenn von Lindau die Rede ist. In der Tat: Hier am Bodensee ist europäische Nachbarschaftlichkeit deutlich zu spüren. Gleich drei Nationalstaaten (Deutschland, Österreich und die Schweiz) grenzen an den flächenmäßig drittgrößten See Europas mit ihren Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern und Vorarlberg beziehungsweise den Kantonen Thurgau, St. Gallen und Schaffhausen. Der See verbindet die Menschen, und politische Grenzen sind nicht erst seit dem Schengener Abkommen ein eher relativer Begriff. Deutlich ist das auch im EuroCity-Verkehr zu spüren: Das Zugpersonal in den Wagen wird wechselweise von DB oder SBB gestellt und verbleibt auf der gesamten Fahrtroute durch Deutschland, Österreich und die Schweiz im Zug. Seit 2007 fahren sogar österreichische Lokführer auf deutschen Dieselloks schweizerische Wagen durch das Allgäu. Insofern wird die Linie München – Zürich dem Prädikat „EuroCity“ mehr als gerecht.

Bei aller glanzvollen Internationalität hat der Fernverkehr durch das Allgäu aber auch seine Schattenseiten. Wie deutlich wurde, verhindern vor allem die wenig spurtstarken Dieselloks und die geringen Höchstgeschwindigkeiten einen schnellen und attraktiven Verkehr. Das gilt auch für die 20 Kilometer kürzere Strecke über Memmingen, die mancherorts mit Telegrafenleitungen und Formsignalen fast nebenbahnartig wirkt. Zudem kann bei nur vier Zugpaaren, die nicht einmal gleichmäßig über den Tag verteilt sind, von einem Taktverkehr keine Rede sein – und das, obwohl die Züge meist sehr gut ausgelastet sind. Besserung erhoffen sich Fahrgäste und politische Entscheidungsträger von der beschlossenen Elektrifizierung Lindau – Memmingen – Geltendorf, die bis 2015 realisiert werden soll. Dann sollen schweizerische Elektrotriebwagen im Taktverkehr durch das Allgäu rauschen.

Darüber hinaus soll in Lindau-Reutin ein neuer Personenbahnhof entstehen, damit die internationalen Züge nicht mehr den Kopfbahnhof auf der Insel anfahren müssen. Vor allem der Schweiz ist an einem beschleunigten und dichteren Taktverkehr nach München sehr gelegen, was sich hauptsächlich an deren Vorfinanzierungsanteil in Höhe von 50 Millionen Euro zeigt. Ob es nach der Elektrifizierung der Memminger Strecke weiterhin ein internationales Zugpaar über die klassische Allgäubahn geben wird, erscheint aber mehr als ungewiss.
   
Von Felix Löffelholz

Ein Artikel aus LOK MAGAZIN 03/10

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