Im Führerstand: Auf der 01 069

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Aber, fuhr er fort, er wisse, welcher Lokführer heute mit dem „Pannonia“ aus Berlin komme und wir sollten uns gegen 15.45 Uhr auf dem Bahnsteig treffen, auf dem der Express ankommen sollte. Dieser fuhr pünktlich um 15.51 Uhr im Hauptbahnhof ein, aber zum Entsetzen und zur Ratlosigkeit aller mit Diesel. Erst bei langsamen Annähern des Zuges konnten wir wahrnehmen, dass sich hinter der Diesellok doch ein schwarzes Ungetüm versteckte. Es war die 01 069 mit Lokführer „Texas“ vom Bw Dresden.

Die beiden Eisenbahner hatten eine kurze, aber wohl sehr präzise Unterredung, von der ich mitbekam, dass dem Heizer jede Lust an der Arbeit vergangen sei, nachdem sie ihm in Berlin die Diesellok vor die Nase gesetzt hatten. Schließlich wurde ich auf die Lok gebeten und ich absolvierte die ersten Meter meines Lebens auf dem Führerstand einer 01 zum Einrücken ins Bw Dresden-Altstadt. Herr Buhr meinte zuvor nur, dass wir uns nachher im Bw wiedersehen würden.

Im Bw teilte mir Jürgen, wie ich ihn im Weiteren nennen werde, das Ergebnis der Besprechung mit „Texas“ mit: Alles sei o. k., „Texas“ fahre morgen wieder mit der 01 069 den D 924 nach Rostock bis Berlin Ostbahnhof, Abfahrt in Dresden Hbf um  12.05 Uhr. Ich dürfe als dritter Mann auf dem Führerstand mitfahren. Hierzu müsse ich morgen gegen 10 Uhr am Bw-Eingang sein, dann werde ich eingekleidet, alles weiter dann morgen.

An diesem legendären 26. Februar 1976 geleitete mich Jürgen geradezu fürsorglich und wohl auch durch einige Hintertürchen in die Umkleideräume des Bw Dresden-Altstadt, die ich alsbald als ein Lokheizer der Deutschen Reichsbahn verließ. Ganz ernsthaft wurde mir von Jürgen gedeutet, dass jeder dritte Mann auf der Dampflok für übrige Eisenbahner auffällig sein könnte und ihm Fälle bekannt geworden seien, dass unberechtigte Mitfahrer aufgrund von Hinweisen allzu aufmerksamer Stellwerker von der Lok geholt wurden. Ich solle also auch wegen meines anderen Dialekts möglichst mit niemandem reden, auf der den Stellwerken abgewandten Seite stehen, mich also gewissermaßen so gut als möglich entmaterialisieren und keinesfalls die Arbeit des Lokpersonals irgendwie behindern.

Auf der 01 069, die zwischenzeitlich schon wieder eine Berlinleistung hinter sich hatte, tummelte sich schon der wegen seines Nachnamens Dietrich nur „Marlene“ genannte Lokheizer. Er schien von meiner Anwesenheit nicht sehr erbaut und machte in Hinblick auf das Geplante ein dickes, grimmiges Fragezeichen gegenüber Jürgen. Dieser zerstreute sein Bedenken jedoch offensichtlich überzeugend. Ich hörte „Marlene“ nur noch brummen, dass er nur der Heizer sei und nichts zu sagen hätte. Das Geplänkel war mir als alleinigem Nutznießer mehr als unangenehm.

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