Im Führerstand der 65 1042

Michael Lüdecke ist einer der Männer, die immer einmal wieder die Thüringer Museumslok 41 1144 fahren. Das Dampflokfieber hatte ihn recht früh gepackt.
 
65 1082 in Arnstadt Hbf vor dem Personenzug 9039 nach Ilmenau (Februar 1976)	Foto: Michael Lüdecke © Michael Lüdecke

Die Baureihe 65.10 kenne ich als Erfurter seit meiner Jugend. Mehrere Bahnbetriebswerke fuhren mit den Tenderlokomotiven Leistungen in den Erfurter Hauptbahnhof. So kamen Sangerhäuser, Nordhäuser und hauptsächlich Arnstädter Maschinen in die Bezirkshauptstadt. Natürlich gab es zu Beginn der 1970er-Jahre noch viele andere Dampflokomotiven in Erfurt zu beobachten. Im Schnell- und Eilzugdienst fuhren 01.05, 03 und 41er. Im Personenzugdienst sowie vor Gepäck-Expresszügen wurden die allerletzten 38.10 gesichtet. Sonst fuhren in diesen Diensten noch 35.10, die 41er, die 44er aus Nordhausen und Meiningen und eben die Baureihe 65.10.

Dazu gesellte sich ein bunter Reigen an Baureihen, die zum Raw Meiningen unterwegs waren bzw. von dort kamen. Auf diese Weise fuhren 01.20, 01.05, 01.15, 03.00, 03.20, 41er, 44er, 58.10 und 58.30, auch die VES-M-Renner 02 0201, 02 0314, 04 0015 und 0022, später auch die 35.10, durch Erfurt. Im Güterzugdienst wurden damals schon die
Diesellokomotiven der Baureihen 118, 120, 130 und 131 immer präsenter, nur die Strecken nach Sangerhausen und Nordhausen wurden noch von ölgefeuerten 44ern komplett beherrscht. Nach Grimmenthal, Ilmenau  und Saalfeld liefen noch Kohlenstaub-44er vom Bw Arnstadt, ihre Zeit lief im Herbst 1974 ab.

Unbedingt noch einmal Dampflok fahren!
In den Morgenstunden verließen gleich mehrere 65.10 Erfurt mit Personenzügen in Richtung Saalfeld und Ilmenau. Den eher leisen Auspuff des Giesl-Ejektors, der in alle 88 Lokomotiven eingebaut worden war, habe ich noch heute im Ohr. Ich war damals noch Schüler, doch mein Eintritt in die Lehrausbildung bei der Deutschen Reichsbahn stand kurz bevor. Da sich ganz deutlich die Diesel- und Elektrotraktion auf dem Vormarsch befand, reifte in mir der Entschluss, unbedingt noch einmal auf einer 65.10 im Führerstand mitzufahren. Gesagt, getan: Im Bw Arnstadt freundete ich mich mit einem 65.10-Personal an, welches die 65 1042 in seiner Obhut hatte. Die Maschine war vorbildlich gepflegt. „Starleistungen“ waren nicht zu erwarten. Es ging um einen alltäglichen Personenzug, den P 9039 von Arnstadt Hbf nach Ilmenau. Kurze Absprache mit dem Lokführer: „In Plaue kommst Du vor!“

Kaum steht die 65 1042 mit ihrem Zug, einer zweiteiligen Doppelstockeinheit (DBz) und einem Bghw-Wagen in Plaue am Bahnsteig, bin ich schnellen Schrittes unterwegs nach vorn zur Lok. Schon öffnet sich die Führerstandstür. Der Heizer ist dabei, eine ordentliche Menge der recht minderwertigen Kohlen in die Feuerbüchse zu schaufeln. Ab jetzt geht es stetig bergan, bis kurz vor Ilmenau. Das Ausfahrsignal wird frei und hinten trillert bereits der Zugführer. Da schiebt mich der Lokführer auf seinen angestammten Platz und sagt: „Du willst doch Lokführer werden, dann fahr auch selbst!“

Mit der Handhabung einer Dampflok war ich durch verschiedene Führerstandsmitfahrten über den Rennsteig auf Loks der Baureihe 94 schon etwas vertraut. Auf der 65.10 war jedoch alles anders und größer. Seitenzugregler, Steuerung mit Trofimoff-Schiebern und eine moderne Anzeigetafel mit Kreuzspulen-Messinstrumenten waren im Vergleich zur alten preußischen T 16.1 wie der Umstieg vom Doppeldecker in ein Düsenflugzeug.

Also: Steuerung auslegen, Zusatzbremse lösen, Regler sachte öffnen – los geht die Reise. „Mach nur ordentlich auf“, mahnt der Lokführer. Ich ziehe die Steuerung langsam auf 30 Prozent Füllung ein und dafür den Regler weiter auf. Der Heizer greift wieder zur Schaufel. Das Feuerbett ist gut durchgebrannt. Trotz Bergfahrt pendelt sich der Tachometer bei etwa 50 Stundenkilometern ein. Meter um Meter arbeitet sich die 65 1042 in die Berge hinauf.

Schon kommt der Angelrodaer Viadukt in Sichtweite. Er darf nur mit 30 km/h befahren werden. Jetzt rechtzeitig den Regler einziehen, den Schieberkastendruck jedoch nicht unter fünf kp/cm2 absinken lassen wegen der Trofimoff-Schieber. Der Viadukt liegt in einem langen Linksbogen und voll in der Steigung. Etwa in der Mitte der Brücke, hoch über den Häusern des malerischen Ortes Angelroda, öffne ich den Regler weiter. 65 1042 legt sich erneut ins Zeug, das eigenartige Fatschen des Giesl-Auspuffs tönt über das Tal.

Es folgen die Bahnhöfe Martinroda, Geraberg, Elgersburg und der Haltepunkt Ilmenau-Roda. Bei allen muss beinahe bis zum Bahnsteig mit Dampf gefahren werden. Eine kurze Bremsstufe, und ich bekomme den Zug jedes Mal genau an der H-Tafel zum Stehen. Dann die Lok mit der Zusatzbremse festhalten, sonst rollen wir nach hinten.

Seiten

Tags: 
Weitere Themen aus dieser Rubrik

ET 184 41, 42/ ET 185 01: Elektrische Pioniere

Am 4. Dezember 1895 eröffnete die Localbahn AG in Württemberg zwischen Meckenbeuren und Tettnang die erste elektrische Vollbahn in Europa.

Für den...

weiter

Baureihe 140 im Emsland: Die Funken schlagen

Im Emsland tummelten sich früher die Dampflokfans. Doch Geschichte wiederholt sich: Das Emsland zieht heute Ellok-Nostalgiker an. Warum das so ist, lesen Sie hier!

Lokführer im Ruhrgebiet in den 1970ern: Oft um den Kirchturm herum

In den frühen 1970er-Jahren arbeitet Peter Schricker als Lokheizer im Bahnbetriebswerk Duisburg-Wedau. Seine Dampflok-Einsätze sind die typischen jener Jahre:... weiter