Quantensprung

Wirtschaftsembargo und Kalter Krieg zwangen die DDR Ende der 1950er-Jahre, ihre neue Ellok komplett allein zu planen und zu bauen. Es gelang – nicht perfekt, aber richtig gut und bahnfest. Von Wolfgang Müller
 
Das Fahren der E 11 im Sitzen war ein Fortschritt gegenüber den Altbau-Elloks  Slg. W. Müller © Slg. W. Müller

Vor über 50 Jahren, am 30. Dezember 1960, nahm die Deutsche Reichsbahn in der DDR die Lokomotiven E 11 001 und 002 ab. Sie
waren die ersten nach dem Kriegsende 1945 neu entwickelten elektrischen Lokomotiven für das Stromsystem 16,7 Hz/15 kV auf dem Gebiet der DDR. Die E 11 prägte bis Mitte der 1980er-Jahre gemeinsam mit der Schwesterbauart E 42 bei der Reichsbahn den elektrischen Zugbetrieb. Erst 1998 schieden die letzten Lokomotiven aus, die Baureihe E 42 tat sogar noch drei Jahre länger Dienst.

Rückschlag durch die Reparation
Bereits nach Kriegsende machte man sich auch bei der Reichsbahn in der DDR Gedanken über den Neubau von Elloks, waren doch die Konstruktionsprinzipien der vorhandenen Lokomotiven bereits über 15 Jahre alt. Die Einbeziehung der elektrischen Zugförderung in die an die UdSSR zu leistenden Reparationen brach 1946 die Entwicklung bei der DR ab. Erst mit der Rückkehr der Fahrzeuge und Anlagen im Jahr 1952 begann die Reichsbahn wieder mit dem Aufbau des elektrischen Zugbetriebs, der mit der Eröffnung der Strecke Köthen – Halle (Saale) am 1. September 1955 sichtbaren Ausdruck fand.
Anfangs standen dort genügend Altfahrzeuge, vorrangig der Baureihen E 04, E 44 und E 94 zur Verfügung. Trotzdem wurden bereits 1954 Entwicklungsarbeiten für eine neue elektrische Lokomotive notwendig. Sie begannen nach Vorgaben des Technischen Zentralamtes der DR im Institut für Schienenfahrzeuge und beim künftigen Hersteller, dem Volkseigenen Betrieb Lokomotivbau und elektrotechnische Werke „Hans Beimler“ (LEW) in Hennigsdorf bei Berlin. Letzterer war bis 1945 das Lokwerk der AEG, hier entstanden u. a. die Baureihen E 04, E 18 und E 94. Dieses Werk lieferte in den 1950er-Jahren bereits wieder elektrische Lokomotiven, aber im Wesentlichen Gleichstromloks für Industriebahnen.
Ausgehend von Erfahrungen anderer Bahnverwaltungen sollte die neue Maschine für die Reichsbahn eine laufachslose Drehgestell-Lokomotive verwendbar für alle Zugarten werden. Dabei kam den Konstrukteuren zugute, dass vorerst auf dem Streckennetz der DR weder Geschwindigkeiten über 140 km/h nötig sein würden noch stärkere Steigungen oder längere Gefällestrecken im elektrischen Netz vorkamen.
Als Grundlage bei der Fahrgestellkonstruktion diente eine von LEW an die Polnischen Staatsbahnen gelieferte Gleichstrom-Ellok der Reihe EU 04. Deren Laufwerk erfüllte die Anforderungen an Lauftechnik und Kraftübertragung und war weitgehend wartungsarm. 
Anders sah es bei der elektrischen Ausrüstung für 16,7 Hz/15 kV aus. Entwicklung und Produktion solcher Bauteile hatte es von 1946 bis 1955 in der DDR nicht gegeben. Hier wäre der Einkauf von Technik aus Ländern mit diesem Stromsystem vorteilhaft gewesen, mit der Maßgabe der späteren Produktion in der DDR, heute ein weltweit üblicher Vorgang. Dies verhinderte jedoch der Kalte Krieg, indem die amerikanische Embargoliste von den Firmen und Bahnverwaltungen in Schweden, Österreich, der Bundesrepublik und der Schweiz zu beachten war. Also wurden diesbezügliche Anfragen abschlägig beschieden.
Blieb nur der Weg einer völligen Neukonstruktion. Das Sachsenwerk Dresden-Niedersedlitz, u. a. ein Produzent von Gleichstrom-Bahnmotoren, erhielt den Auftrag für einen 700-kW-Motor, der nach dem Tatzlagerprinzip in die Drehgestelle eingebaut werden konnte. Für die elektrische Leistungsübertragung musste man allerdings auf das inzwischen veraltete Prinzip der Baureihe E 18 zurückgreifen. Diese hatte bekanntlich ein motorisches Nockenschaltwerk mit Feinregler. Letzterer wurde durch ein wesentlich kleineres Feinschaltwerk ersetzt. Eine Nachlaufsteuerung ermöglichte die Voreinstellung einer Fahrstufe, das Schaltwerk schaltete dann die Leistung stufenweise zu und entband den Lokführer von dessen weiterer Beobachtung. Alle übrigen Bauteile wurden wartungs- und gewichtsärmer gestaltet. Für Hauptschalter und Stromabnehmer waren Neukonstruktionen erforderlich.
Die Arbeitsbedingungen der Lokpersonale wurden durch neu gestaltete Führerstände verbessert. Über ein 110-V-Gleichstrombordnetz erfolgte die Ansteuerung aller Einrichtungen der Ellok außer der Bremse. Letztere war die übliche einlösige Knorrbremse, aber mit Hochabbremsung in der Stellung SS. Ein besonderer Hilfsluftbehälter fehlte, die Druckluftversorgung der Bremszylinder erfolgte über einen Druckübersetzer direkt aus dem Hauptluftbehälter. Eine elektrische Widerstandsbremse und eine Indusi-Ausrüstung waren nicht vorgesehen. Die Sicherheitsfahrschaltung (Sifa) der Bauart BBC machte Einmannbesetzung möglich. Wendezug- und Doppeltraktionssteuerung erlaubten einen vielseitigen betrieblichen Einsatz der neuen Ellok. 

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