Retter der Nebenbahnen

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Mit der umfänglichen Auslieferung der Schienenbusse dominierten sie das Erscheinungsbild des DB-Nebenbahnbetriebs. Genauso waren sie auf vielen Verbindungsstrecken zwischen den Magistralen vertreten. Selbst im leichten Hauptbahndienst machte der zweimotorige Schienenbus der Baureihe VT 98 (ab 1968 Baureihe 798) eine gute Figur. In den verkehrsschwachen Zeiten erwies er sich hier allzu oft als kostengünstige Idealbesetzung. Egal, wo der Reisende in der Bundesrepublik mit der Bahn unterwegs war, beim Verlassen der Hauptbahnen kam unweigerlich der Schienenomnibus ins Spiel. Böse Zungen bezeichneten den „Uerdinger“ ob seiner flächendeckenden Präsenz gar als Landplage.
Der gegenüber dem VT 95 üppig motorisierte VT 98 ließ sich selbst auf betriebstechnisch schwierigen Strecken ohne Einschränkungen einsetzen. Beispielsweise die VT 98 des Bw Simmern: Musste für die Simmerner VT 95 auf der Hunsrückstrecke Simmern – Boppard die Fahrt spätestens in Buchholz – bedingt durch die ins Rheintal nach Boppard hinunter führende Steilstrecke – enden, vermochte der VT 98 die Relation ohne Einschränkungen auf ganzer Länge zu befahren. Die Zuteilung der vier Triebwagen VT 98 9539 – 9542 mit Steilstreckenausrüstung an das Bw Simmern im Jahr 1956 machte es möglich. Damit war der bis dahin aufrecht erhaltene Dampfbetrieb auf der Steilstrecke endgültig überflüssig geworden. Die steilstreckentauglichen 798 541 und 542 und die Steuerwagen 998 619 und 621 erhielten übrigens Anfang 1981 einen von Bopparder Realschülern kunstvoll aus unterschiedlichen Hunsrücker Sagengestalten bestehenden Farbanstrich; eine derartige Schienenbusbemalung blieb bundesweit einmalig.
Mit der bis 1962 andauernden Beschaffung des VT 98 erlangten die Schienenbusse ihre größte Verbreitung und erlebten in den 1960er-Jahren ihre Hochblüte. Die Prototypen eingeschlossen, hatten nicht weniger als 584 einmotorige VT 95 sowie 340 zweimotorige VT 98 und insgesamt acht Zahnradschienenbusse der Baureihe VT 97 die Werkhallen der Hersteller verlassen.
Anfangs wiesen allein aufgrund der höheren Stückzahl die VT 95 größeren Laufleistungen auf, bevor sie gegenüber den VT 98 sukzessive an Boden verloren. Sie wurden zunehmend in Umläufe mit geringeren Laufleistungen abgedrängt und von V 100 mit Wagenzügen abgelöst. Der Einsatz von lokbespannten Zügen sollte sich in dem Maße verstärken, wie sich durch die fortschreitenden Elektrifizierungen Umschichtungen bei den Dieseltriebfahrzeugen ergaben. Zudem wurden die Schienenbusse durch freiwerdende Akkutriebwagen bedrängt. Beschleunigt wurde dieser Prozess durch den generellen Rückzug der Bahn aus der Fläche und dem damit einhergehenden Nebenbahnsterben. Für den VT 95 war mittelfristig der Weg aufs Abstellgleis vorgegeben. Die zweimotorigen Schienenbusse waren von dieser Entwicklung zunächst nicht betroffen. So war dann auch für die einmotorigen Schienenbusse der Bundesbahn mit Beginn des Sommerfahrplans am 1. Juni 1980 das unausweichliche Ende gekommen.
Beim 798er waren es bis Ende 1980 gerade mal 13 Einheiten, die vornehmlich unfallbedingt abgestellt werden mussten. Als erstes stellte das Bw Passau am 1. Mai 1968 eines der Prototypfahrzeuge, den 798 902, unfallbedingt ab. Die übrigen Passauer Vorserienwagen beendeten ihre Laufbahn am 26. August 1975 (798 9019) bzw. am
1. Juli 1976 (798 903).
Im Gegensatz zum 795, dessen Niedergang sich über die Dekade der 1970er-Jahre erstreckte, vollzog sich das Ausscheiden der 798er über rund zwei Jahrzehnte in den 1980er- und 1990er-Jahren. Vereinzelt – wenn auch längst nicht mehr in Diensten der Deutschen Bahn – stehen einige Exemplare bis heute im Einsatz.
Erst ab 1981 kam es mit zwölf ausgeschiedenen Schienenbussen in den Folgejahren zum konsequent vorangetriebenen Abbau des 798-Bestands. Und das mit konstant steigender Tendenz, so dass im Jahr 1984 mit 57 abgestellten Fahrzeugen der Höhepunkt erreicht war. Damit hatte man den Bestand dem tatsächlichen Bedarf angepasst. In den Jahren darauf wurden dann deutlich weniger Fahrzeuge abgestellt. Mit 30 Schienenbussen erreichte die Abstellungswelle im Verlauf des Jahres 1989 dann ein Zwischenhoch, bis schließlich mit einem letzten finalen Spitzenwert 1995 abermals 57 Uerdinger aufs Abstellgleis rollen mussten. Es verblieben lediglich 13 aktive Schienenbusse. Dennoch vermochten drei Exemplare bis zu ihrer Abstellung das Jahr 2000 zu erreichen.
Dem 798 kam auch zugute, dass sich die Deutsche Bundesbahn vorrangig für die Abstellung der Akkutriebwagen der Baureihe 515 entschieden hatte, deren Einsatzspektrum auf untergeordneten Strecken weitgehend mit dem der Schienenbusse identisch war. Die Dieselfraktion konnte hier übergangsweise Boden gutmachen.
 

 

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