Roter Brummer

REISEN MIT DEM SCHIENENBUS - Joachim Seyferth ist unzählige Male mit den Schienenbussen der Bundesbahn gefahren: Erinnerungen an eine Zeit, als Bahnfahren noch ganz anders war

 
Roter Brummer © Lok-Magazin
Die Schienenbus-Erinnerungen beginnen mit den Bahnhöfen. Mit jenen Bahnhöfen, auf denen der Schienenbus ein Außenseiter, ja fast schon ein Fremdkörper war. Auf den Stationen der Kleinstädte und Dörfer sowie auf den Haltepunkten war er ein selbstverständlicher Anblick, gehörte gewissermaßen zum Inventar, aber auf den Großstadtbahnhöfen war er Gast aus einer anderen Eisenbahnwelt; er wirkte unscheinbar und war doch etwas Besonderes, das eine bescheidene Aufmerksamkeit erzeugte.

Man merkte das schon beim Umsteigen. Die Lautsprecheranlage quäkte alle möglichen Anschlüsse durch – den eigenen natürlich zuletzt – und hetzte einen zum Personenzug nach Dingsda, abfahrbereit meist auf einem der äußeren Bahnsteige – Gleis 11, 5 Nord, 14b und wie sie alle hießen.

Dort brummte einsam der Schienenbus mit laufendem Motor vor sich hin, der Zugführer stand neben den roten Schlussleuchten und wartete mit einem Seitenblick auf die Bahnhofsuhr auf die letzten Fahrgäste. Wie abgeschoben wirkte der Schienenbus dort am letzten Bahnsteig, weit weg von den Renommierzügen und dem Aktenkoffer- Publikum.

Der rotbemützte Aufsichtsbeamte hätte es weit unter seiner Würde angesehen, für das ordinäre Vehikel seine Kelle zu heben – das musste der Zugführer schon selbst besorgen, der jetzt alle Anschlussfahrgäste in seinem Gefährt wusste und die Falttüren zuzerrte.

Hinter den Scheiben des Schienenbusses sah man gleichzeitig die verschiedenartigsten Fahrgäste: Hausfrauen mit ihren Einkaufsnetzen, Arbeiter mit ihren thermoskannenbestückten Aktentaschen, Koffer mit den dazugehörigen Urlaubern und immer wieder Schüler, von denen ein oder zwei immer auf dem gerade nicht benutzten rückwärtigen Triebwagenführer- „Sessel“ und dem daneben befindlichen Klappsitz saßen.

Unser Zugführer auf dem Bahnsteig schlenderte nach vorne und besah sich mit flüchtigem Blick „seine“ Reisenden, deren Fahrkarten er wenig später breitbeinig auf schwankendem Boden kontrollierte. Oder erinnern Sie sich an die späten Abendstunden in den Bahnhöfen, wenn sich der tuckernde Schienenbus mit seiner gedämpften Innenbeleuchtung an den endlos langen Bahnsteigen fast verlor, wenn er unter nächtlichen Bahnhofshallen den „Lumpensammler“ spielte?

Wenn er stark dröhnend oder laut knatternd seine nächtliche Fahrt begann und akustisch den ganzen Bahnhof beherrschte? Die Erinnerungen an den Schienenbus beginnen an der Schwelle zwischen Bahnsteigkante und Falttür, bei den Bahnhöfen und ihren äußeren Gleisen. Der Minutenzeiger springt auf 7.51 Uhr. Beeilen Sie sich!

Nie werde ich die eine der unzähligen Schienenbus- Fahrten vergessen, als ich im hinteren Wagen einer zweiteiligen Garnitur saß und am Abend eines kalten und bedeckten Herbsttages von Hachenburg nach Limburg durch den Westerwald fuhr. So unwirtlich es während der Wartezeit gewesen war, so gemütlich wurde es im beheizten, dahindröhnenden Schienenbus.

Der Zug fuhr aus der Dämmerung in die angehende Nacht und hinter Westerburg war es bereits stockfinster. Ein knappes Dutzend Fahrgäste verteilte sich auf den Sitzbänken, deren Haltestangen das Licht der schummrigen Innenbeleuchtung in spiegelnde Reflexe verwandelten. Draußen zogen die Lichter umliegender Ortschaften vorbei, alle paar Kilometer rollten wir in einen spärlich beleuchteten Bahnhof.

Und weiter ging das Gebrumme und Geschaukel, der Wagen schwankte über die letzte Weiche hinaus in die Nacht. Wie urgemütlich war es dort im Schienenbus, wie geborgen fühlte man sich mit der Gewissheit, dem ersehnten Zuhause immer näher zu kommen, wie friedlich war der Anblick der anderen Reisenden, wie sie vor sich hindösten, lasen oder sich in gedämpfter Lautstärke unterhielten.

Auch ihnen ist dieser Beitrag gewidmet. Erinnern Sie sich an die vielen Berufstätigen, die Tag für Tag mit ihrer Aktentasche unterm Arm und der Monatskarte im Jackett frühmorgens in den Schienenbus stiegen und auf ihrem Stammplatz die Zeitung auseinanderfalteten? Manche versuchten, noch ein bisschen Schlaf herauszuschinden, während andere schon lebhaft in ein Gespräch vertieft waren.

Erinnern Sie sich an die vielen Schüler, die ein wenig später den Schienenbus stürmten und sofort die besten Plätze eroberten, dort, wo man am besten vom Nachbarn abschreibend die restlichen Hausaufgaben machen konnte? War das ein Geschnatter, Gedränge und Geschubse, das sich erst nach ein paar Stationen ein wenig legte.

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