Roter Brummer

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Beim Aussteigen schwoll die Lautstärke wieder an und nach dem Tempo der quirligen Bande zu urteilen, musste der Schulbesuch die wahre Freude gewesen sein! Berufstätige und Schüler waren die Hauptkunden des Schienenbusses und bestimmten demnach auch oft den Fahrplan und die Zuglänge.

Den restlichen Tag über waren die Fahrgäste abwechslungsreicher: Hausfrauen fuhren in die Stadt, Urlauber und Erholungssuchende waren kurz vor ihrem Ziel und manch einer fuhr nur ein oder zwei Stationen zum nächsten Dorf. Da saßen sie und schauten aus dem Fenster, häkelten, lasen oder hingen einfach nur irgendwelchen Gedanken nach.

Der nächste Haltepunkt kam, der Zug fuhr wieder an und eine Falttür wurde zugeschoben: „Guten Tag, die Fahrkarten bitte!“ Aha, der Schaffner. Beinahe hätten wir ihn vergessen – ihn und den Lokführer, den Stationsbeamten und den Schrankenwärter. Wie vertraut muss all denjenigen der Schienenbus gewesen sein, die tagtäglich mit ihm zu tun hatten, die sein Innenleben, seine Mucken und seine Fahrpläne in- und auswendig wussten.

Sitzreihe für Sitzreihe ließ sich der Schaffner, der beim Schienenbus in den meisten Fällen ja auch der Zugführer war, die Fahrkarten zeigen. Musste auch zwischendurch mal eine Blankokarte im Stehen ausgefüllt werden, so besaßen doch beim nächsten Halt meist alle Reisenden den Stempelabdruck auf ihrer Fahrkarte und unser „Schaffner“ setzte seine Tätigkeit im nächsten Wagen fort.

„Noch jemand zugestiegen?“ kam er nach ein paar Stationen wieder durch den schmalen Gang und verbrachte die restliche Zeit meist auf einem der Klappsitze neben den Türen, wenn sie nicht gerade durch ein Schwätzchen mit dem Bauern Huber ausgefüllt wurde. Meist saß er jedoch vorne beim Lokführer.

Was gab’s da immer zu erzählen! Der Dienstplan ist schlecht, das Essen in der Kantine war wieder mal das Letzte und überhaupt viel zu wenig, die Herren von der Direktion haben von der Eisenbahn überhaupt keine Ahnung, das Wetter könnte auch besser sein, und, und, und … Der Lokführer gab seinen Senf dazu und führte seine Schaltvorgänge auf dem kleinen Führertisch schon fast automatisch aus.

Oft saßen sie auch schweigend zusammen und richteten ihren Blick unablässig auf die Strecke. Und saßen sie nicht im Motorwagen mit den Fahrgästen im Rücken, sondern im abgetrennten Teil des Steuerwagens, manchmal mit dem Streckenläufer zusammen, dann herrschte dort richtige Eisenbahnerstimmung, ein Wort ergab das andere.

An den Bahnhöfen ein kurzer Wortwechsel mit dem Fahrdienstleiter, ein paar Türen wurden zugezerrt und schon ging es mit dem Geklöne weiter. Oft waren das Zugpersonal und der jaulende Hund in der Expressgut-Kiste auch die einzigen Lebewesen im Zug; über lange Strecken war kein einziger Fahrgast zu betreuen.

So zuckelte der Schienenbus in den letzten, traurigen Jahren so mancher Strecke über die Gleise. Bei jedem Halt stieg nur der Zugführer aus und ein. Meist war es jedoch umgekehrt und die Strecke wurde von fantasielosen Bürokraten trotzdem stillgelegt. Die Fahrgäste mussten in den unbequemen Bahnbus und das Personal auf die Hauptstrecke.

Und der Schienenbus hatte keine Arbeit mehr. Der Zeitpunkt seiner Abstellung und Ausmusterung stand schon lange fest. Sie sind wirklich das Einzige, was uns bleibt: Erinnerungen.

Ein Artikel aus LOK MAGAZIN 02/14.
 

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