Tempo wird Alltag

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Daher wurden die ersten NBS so angelegt, dass sie auch von Güterzügen befahren werden konnten. Um zur Entlastung der Autobahnen Lkw’s in geschlossenen Wagen im HGV transportieren zu können, erweitere man das Lichtraumprofil. Die Folge der damaligen Grundsatzentscheidung war, dass nur mit großen Gleisbögen geplant werden durfte. Der geplante Güterverkehr begrenzte die Steigungen auf 12,5 Promille. Mit der 1972 gegründeten Forschungsgemeinschaft Rad/Schiene sollten die Grenzen des Rad-Schiene-Systems festgestellt werden.

Die Entscheidung zur Durchführung eines Hochgeschwindigkeitsverkehrs fiel jedoch erst sehr spät. Da das Netz der DB im Gegensatz zu Japan und Frankreich Haltestellen in deutlich kürzeren Abständen besaß, hielt man aus betriebswirtschaftlicher Sicht eine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h für ausreichend, da hohe Geschwindigkeiten nur sinnvoll sind, wenn diese erstens schnell erreicht werden und zweitens über einen längeren Zeitraum auch gefahren werden. Auf Grund der unübersehbaren Erfolge wurde im Mai 1984 – der Forschungszug Intercity Experimental war bereits im Bau – dem Vorstand der DB das Projekt Hochgeschwindigkeitsverkehr vorgestellt, die Devise war: „Doppelt so schnell wie das Auto – halb so schnell wie das Flugzeug.“

Zu spät wurde erkannt, dass mit dem Bau der HGV-Strecken auch ein Ausbau der Knotenbahnhöfe erfolgen musste. So wird auf den HGV-Strecken gewonnene Zeit durch Warten auf freie Trassen auf den anschließenden eng belegten Altstrecken verloren.

HGV-Strecken der ersten Generation
Die Planung der ersten beiden HGV-Strecken Hannover – Würzburg (327 km/250 km/h) und Mannheim – Stuttgart (99 km/250 km/h) begannen 1971. Die Vorgabe der Mischnutzung von schnellen Reise- und schweren Güterzügen bedeutete in den Mittelgebirgen eine aufwändige Streckenführung mit langen Rampen sowie vielen Tunnel- und Brückenbauten. So gibt es auf der NBS Hannover – Würzburg 62 Tunnel mit einer Gesamtlänge von 117 Kilometern! Das heißt, mehr als ein Drittel dieser NBS verläuft im Tunnel, was ihr den Beinamen „längste U-Bahn Deutschlands“ einbrachte. Ähnlich ist das Verhältnis bei den Brücken. Dadurch verteuerte sich der Bau der Strecken erheblich. Zudem mussten zur Vermeidung plötzlicher Druckschwankungen beim Befahren der Tunnel die Fahrzeuge druckdicht ausgeführt werden.

Die Strecke Hannover – Würzburg ist heute wesentlicher Bestandteil für die schnelle Verkehrsabwicklung zwischen Nord und Süd und im Bereich Hildesheim – Fulda dient sie dem Ost-West-Verkehr. Der weniger dicht belegte Abschnitt Fulda – Würzburg dient oft zu Versuchszwecken, dort wurde u. a. am 1. Mai 1988 vom ICE-V mit 406,9 km ein Geschwindigkeits-Weltrekord aufgestellt. Nach dem Bau der Nantenbacher Kurve (11 km/200 km/h) wird der südliche Abschnitt ab Rohrdorf auch von den IC-Zügen Frankfurt – Würzburg mitbenutzt. Die HGV-Strecke Mannheim – Stuttgart wird neben dem Fernverkehr teilweise auch vom Regionalverkehr mit benutzt. Die Aufnahme des HGV erfolgte am 2. Mai 1991.

Im Verkehr Hamburg – München konnte die Reisezeit von über sieben auf unter sechs Stunden deutlich verkürzt werden, so dass nun Tagesreisen Hamburg – München – Hamburg oder umgekehrt möglich waren. Die Folge der Verkürzung der Reisezeit hatte auch Auswirkungen auf die Nachtzüge, deren Nutzung merklich nachließ. Zwischen Frankfurt und München ließ sich die Reisezeit um 58 Minuten verringern.

Da nicht genügend HGV-Züge zur Verfügung standen, musste das bestehende IC-Netz umgebaut werden. Die ursprünglich vorgesehene Mischnutzung der HGV-Strecken durch schnelle Reisezüge und hochwertigen Güterverkehr wurde aufgegeben. Zum einen ergeben sich durch den Begegnungsverkehr in den Tunnels unzulässige Druckschwankungen, die zu einem Verrutschen der Ladung führen. Ferner besteht bei starkem Wind die Gefahr, dass auf den langen hohen Talbrücken die lose auf kurzen Dornen aufgesetzten Container heruntergeweht werden. Zudem werden die nächtlichen Zugpausen des Fernreiseverkehrs für die Streckeninstandhaltung benötigt und stehen damit dem Güterverkehr nicht zur Verfügung.

Daher wurde bei den weiter geplanten HGV-Strecken keine Mischnutzung mehr vorgesehen. Somit konnten mit größeren Neigungen und engeren Krümmungsradien die Strecken besser den Mittelgebirgen angepasst werden. Mit der NBS Hannover – Würzburg konnte die dicht belegte bestehende Strecke entlastet werden, dem Güterverkehr standen hier nun mehr Trassen zur Verfügung.

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