Zeitlos schönes Fahrzeug: Vierachser für private Nebenbahnen

Die Kreisbahn Mansfelder Land fährt mit ihnen noch heute auf der „Wipperliese“ – den „Esslingern“. Sie sind inzwischen über 50 Jahre im Einsatz. Gibt es einen besseren Qualitätsbeweis? Von Thomas Estler
 
Der Esslinger Triebwagen VT 102 war jahrelang Stammfahrzeug auf der Stichstrecke Biberach – Oberharmersbach im Schwarzwald. Am 1. Oktober 1983 legte er einen Zwischenhalt im idyllischen Bahnhof Zell (Harmersbach) ein. (Foto: Martin Weltner) © Martin Weltner

Mit den  Triebwagen der Maschinenfabrik Esslingen der 1950er-Jahre erschien erstmals ein Fahrzeug auf deutschen Schienen, das wie kein anderes die Entwicklung bei den Privatbahnen beeinflussen sollte. Ihre Grundkonzeption als vierachsige Einzeltriebwagen mit zwei angetriebenen Drehgestellen ist heute noch Richtung weisend.
Mit insgesamt 50 gebauten Einheiten (1. Generation: 25 VT, 5 VS, 5 VB; 2. Generation: 6 VT, 5 VS, 4 VB) kam die Maschinenfabrik Esslingen auf eine vergleichsweise hohe Stückzahl und schlug alle vierachsigen Konkurrenzprodukte um Längen. Der Erfolg ließ sich vor allem auf die standardisierte Bauweise bei größtmöglicher Anpassung an die Kundenwünsche zurückführen.

Die Entstehung
Als nach der Währungsreform ab 1949 der „ständig anwachsende Omnibusverkehr auf der Straße dem Personenverkehr auf der Schiene einen Kampf auf Leben und Tod zu liefern anfing“ (zeitgenössisches Zitat), war der Zeitpunkt für die Neubeschaffung von Triebwagen bei der Deutschen Eisenbahn-Gesellschaft (DEG) gekommen. Ein Fahrzeug musste entwickelt werden, welches auf den Erfahrungen der Vor- und Nachkriegszeit aufbaute. Außer Frage stand, dass bei größtmöglicher Wagenlänge und restloser Ausnutzung des gesamten Wagengrundrisses als Nutzfläche nur ein vierachsiger Dieseltriebwagen mit 250 bis 300 PS Leistung beschafft werden sollte. Gerade die schweren Jahre der Kriegs- und Nachkriegszeit hatten gezeigt, dass die häufige, ja fast ständige Überbeanspruchung der unterdimensionierten Triebwagen ihre Ausfälle und damit ihre Unterhaltungs- und Betriebskosten zu ungewöhnlicher Höhe ansteigen ließ.
Ferner sollten die neuen Fahrzeuge auf möglichst vielen DEG-Strecken einsetzbar sein, die doch recht verschiedene Betriebsbedingungen aufwiesen. Einzelne Strecken lagen hauptsächlich im Flachland, andere hatten unangenehme Steigungen. Ländlicher Verkehr, Normalverkehr, Sonntags- und Ausflugsverkehr wechselten ab mit leichtem bis schwerem Berufsverkehr oder sogar erweitertem Vorortverkehr wie bei der Farge-Vegesacker Eisenbahn nach Bremen Hauptbahnhof im Wechselverkehr mit der Bundesbahn. Da nicht nur leichte, sondern möglichst viele der bisherigen Dampf-Personenzüge durch Triebwagenzüge ersetzt werden sollten, musste die Motorleistung so groß gewählt werden, dass der Triebwagen mindestens zwei zweiachsige Personenwagen oder einen vierachsigen Bei- oder Steuerwagen, in jedem Falle also 35 Tonnen Anhängelast, betriebssicher und fahrplanmäßig befördern konnte.

Dies bedingte eine Leistung von fast 300 PS. Die Entscheidung, ob diese 300 PS von einem oder von zwei Motoren erbracht werden sollten, ergab sich von selbst aus der Forderung, den gesamten Wagengrundriss restlos als Nutzfläche auszubilden. Dies war nur möglich mit zwei Maschinenanlagen von je 150 PS Leistung, die in einem besonderen Maschinenrahmen aufgehängt gerade noch unter dem Wagenboden untergebracht werden konnten. Ein einzelner Motor mit 300 PS hätte in den Wagenkasten hineingereicht und einen größeren Prozentsatz der Wagenfläche als Nutzraum ausgeschlossen. Ferner konnte der zweite Motor beim Fahren ohne Anhängelast auf relativ flachen Strecken abgeschaltet werden. Wenn bei solchem Einsatz der Triebwagen außerdem noch Solofahrten dominierten, ergab sich dadurch eine erhebliche Treibstoffersparnis.
Die Aufteilung der Leistung auf zwei Maschinenanlagen bot ferner eine größere Betriebssicherheit, da beim Ausfall einer Anlage zumindest die Strecke mit eigener Kraft geräumt, in den meisten Fällen die Züge aber mit voller oder ermäßigter Geschwindigkeit weitergefahren werden konnten. Besonderen Wert legte die DEG auf die Ausbildung des wagenbaulichen Teils. Es galten folgende Forderungen:

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