Zwei Jahrzehnte Plandampf

Seiten

Vorbei!

Doch halt, hinter dem „Eisernen Vorhang“ hatte die Reichsbahn ihren Lokomotiven das Rauchen noch nicht abgewöhnt! Also ging es ab Januar 1977 regelmäßig in die Deutsche Demokratische Republik, wo ich fortan als „Ausländer“ und „Klassenfeind“ in Sachsen, Thüringen, Mecklenburg und anderswo mit großer Leidenschaft den geliebten, schwarzen Ungetümen auflauerte. Bis 1988. Dann war auch hier Schluss. Und wieder hatte mich ein Bekannter aus Leipzig über die offiziell letzte Dampflokfahrt nach Thale informiert. Doch auch die fand ohne meine Person statt. Denn diesmal saß ich als aktiver Soldat in einem Bundeswehrlager in der Lüneburger Heide fest. Truppenübungsplatz war angesagt, und da gab es kein Entrinnen …

Wirklich alles zu Ende?
Nun war es also endgültig um den Dampfbetrieb auf Staatsbahngleisen der Normalspur in Deutschland geschehen. Für viele von uns Dampflokfans brach damals eine kleine Welt zusammen, denn eine wunderbare Epoche war unwiderruflich zu Ende gegangen. So glaubte ich jedenfalls.
Bis ich am 8. Dezember 1990 mit dem Auto im Erzgebirge unterwegs war – und völlig unerwartet ein längst vergessenes Gefühl erlebte: Gegen neun Uhr morgens passierte ich auf meiner Fahrt ins erzgebirgische Annaberg-Buchholz den Bahnübergang in Schlettau. Unglaublich viel Zeit hatte ich in den 198oer-Jahren dort verbracht, denn die eingesetzte Baureihe 86 auf der Nebenbahn nach Crottendorf und der fallweise verkehrende Containerzug über das Markersbacher Viadukt mit einer 50.35 an der Spitze waren stets Garanten für herrliche Aufnahmen.

Während ich also in Gedanken versunken mit meinem Auto über den besagten Bahnübergang rumpelte, bemerkte ich für den Bruchteil einer Sekunde im Augenwinkel weit hinten in der Bahnhofseinfahrt ein „qualmendes Etwas“. Mein Blut gefror schlagartig. Eine Dampflok?! Tatsächlich! Eine waschechte „Sechsundachtzig“ war augenscheinlich Lz in Richtung Aue unterwegs! Schon senkten sich die Schrankenbäume. Nur Sekunden blieben mir, um hektisch den Fotoapparat aus dem Koffer zu zerren und mich am Schotterbett zu postieren, dann war der dampfende Spuk auch schon wieder vorbei.

„Die setzt sich später in Schwarzenberg vor den planmäßigen Personenzug nach Annaberg-Buchholz und kommt wieder zurück“, sagte mir der Fahrdienstleiter der kleinen Station damals. Also wartete ich bei herrlichem Winterwetter in Markersbach, bis die Fuhre nach Annaberg-Buchholz wie versprochen den Berg hinauf gestapft kam – mit dem Dampfross an der Spitze und der planmäßigen Diesellok hinten am Zugschluss.
Ohne es zu wissen, hatte ich also genau genommen an diesem Tag meine ersten „Plandampf“-Fotos“ geschossen! Doch dieser Begriff war 1990 noch nicht sehr verbreitet und musste erst in den Köpfen der vielen Eisenbahnfreunde ankommen.

Ungeahnte Aktivitäten
Seit dem Mauerfall und somit auch der „Wiedervereinigung“ beider deutscher Bahnen ist dampftechnisch viel passiert auf unseren Gleisen. Lokomotivbaureihen wurden aufgearbeitet, von denen man früher nicht mal zu träumen wagte: „Achtzehndrei“, „Siebzig“ und „Fünfundsiebzig“, „Nulleinszehn“ mit Stromschale in blau, „Achtundfünzig“, „Fünfundneunzig“ und wie sie alle heißen. Viele Jahre fuhren oder fahren sie durch die wiedervereinigte Republik, anfangs ausschließlich im Osten.

Nicht immer authentisch
Ein paar Jahre später eroberte der Plandampf dann endlich auch die alten Bundesländer. 01.5 vor Silberlingen in der Pfalz; grüne Preußen-P 8 vor rot-weißen Regionalzügen an der Lahn. Und natürlich jede Menge „DDR-Reko-E-Kuppler“, sei es im Markgräfler Land, im Siegerland oder im Teutoburger Wald. Manchmal waren es schon seltsame und nicht immer authentische Garnituren. Oder Lokomotiven räucherten Strecken ein, auf denen sie zur Dampflokzeit nie anzutreffen waren. Was soll’s, es hingen wieder Dampfwolken überm Schienenstrang! Und das zählte – und zählt bis heute.

Klangvolle Namen hatte man sich für sich für die Dampf-Events ausgedacht, um möglich viele Fans an die befahrenen Strecken zu locken. „Goldene Aue“, „Viva Magistrale“, „Dampf trifft Kies“ oder einfach nur „Kali“ wurden zu festen Begriffen in der Eisenbahnfangemeinde.

„Weißt Du noch damals, die wahnsinnige Ausfahrt der 03.10 aus Sondershausen oder die Doppeltraktion mit 58.30 und 52.80 übers Göhrener Viadukt? Oder wie die 01 118 durch das Lahntal jagte oder 75 1118 den Bahnhof Walldürn eingeräuchert hat?“ „Na klar, ich war dabei!!!“

Seiten

Tags: 
Weitere Themen aus dieser Rubrik

ET 184 41, 42/ ET 185 01: Elektrische Pioniere

Am 4. Dezember 1895 eröffnete die Localbahn AG in Württemberg zwischen Meckenbeuren und Tettnang die erste elektrische Vollbahn in Europa.

Für den...

weiter

Baureihe 140 im Emsland: Die Funken schlagen

Im Emsland tummelten sich früher die Dampflokfans. Doch Geschichte wiederholt sich: Das Emsland zieht heute Ellok-Nostalgiker an. Warum das so ist, lesen Sie hier!

Lokführer im Ruhrgebiet in den 1970ern: Oft um den Kirchturm herum

In den frühen 1970er-Jahren arbeitet Peter Schricker als Lokheizer im Bahnbetriebswerk Duisburg-Wedau. Seine Dampflok-Einsätze sind die typischen jener Jahre:... weiter