Zwei Jahrzehnte Plandampf

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Der Begriff „Plandampf“ – nicht mehr wegzudenken im monotonen Fahrzeugpark der Deutschen Bahn. Eine bestaunte Abwechslung im rot-weißen Einerlei. Zudem ein großer Sympathie- und Werbeträger für ein Unternehmen, das sich unverständlicher Weise so schwer tut mit der Präsentation der eigenen Vergangenheit.

Doch der „Klimawandel“ der Modernisierung lässt die letzten Dampfinseln mehr und mehr versinken. Telegrafenleitungen, Formsignale und alte, noch nicht „kastrierte“ Bahnhöfe werden rar. Statt dessen Kabelkanäle, ESTW-Technik und DIN-Beton-Bahnsteige mit modernster Beleuchtung. Dazu der typisch deutsche Schilderwald entlang der Strecken und auf den Stationen. Keine leichte Aufgabe, den passenden Rahmen für ein „Dampfhighlight“ zu finden. Und es wird immer schwieriger.

War „Dampf nach Plan“ zuerst für einen „Appel und ein Ei“ zu haben, muss der interessierte Dampflokjäger heute schon richtig in die Tasche greifen, um die Illusion zu finanzieren. 240 Euro für drei Tage Dampf, im Hartz-IV-Zeitalter nicht jedermanns Sache. Nostalgie hat halt ihren Preis. Dabei haben die Veranstalter schon knapp kalkuliert und gehen bei jeder Aktion ein hohes, finanzielles Risiko ein. Wenn dann noch Lokomotiven kurzfristig mit einem Defekt ausfallen, die Feuer plötzlich aufgrund einer Trockenperiode und erhöhter Waldbrandgefahr nicht angeheizt werden dürfen oder der versprochene Wagenpark nicht rechtzeitig überführt wurde, gibt es Schelte. Nein, ich möchte solch eine Plandampfveranstaltungen nicht organisieren und ziehe vor allen den Hut, die es machen.

Aber (noch) ist das Interesse ungebrochen. Dieses Gefühl, in eine längst vergangene Zeit einzutauchen, übt einen gewaltigen Reiz aus. Auch auf die Jüngeren unter uns, die nie den wirklich planmäßigen Dampfbetrieb bei der DB und DR gesehen haben. Nostalgie pur! Noch einmal bewusst erleben zu können, was man damals verpasst hat. Und nicht nur mit einer „Ritsch-Ratsch-Klick“, sondern im Digitalzeitalter!

Ich spreche da aus eigener Erfahrung …
Mit feuchten Augen und kribbelnden Finger hatte ich bereits Mitte 1975 durch Fachzeitschriften erfahren, dass zwischen Zwickau und Aue noch immer die bulligen und urtümlichen Maschinen der Baureihe 58 mit schweren Güterzügen tagtäglich unterwegs waren. Und genau diese Spezies war (und ist) meine Lieblingsschlepptenderlok. Ich musste also so schnell wie möglich ins Erzgebirge!

Nun lag diese Gegend aber hinter dem „Eisernen Vorhang“ und meine Eltern waren nicht ansatzweise davon zu überzeugen, ihren einzigen Sohn im zarten Teenageralter von gerade einmal 16 Jahren alleine vom Sauerland in den kommunistischen Teil Deutschlands reisen zu lassen. „Zu gefährlich“, so der knappe und unwiderrufliche Kommentar meines Vater. „Und wenn dann gerade der Krieg ausbricht, sehen wir dich nie wieder“, so die verzweifelte Zugabe meiner Mutter.

Doch ich ließ nicht locker. Ein Jahr dauerte die Auseinandersetzung mit meinen Erzeugern, bis ich endlich ein Visum über Bekannte einer Kirchengemeinde in Herold bei Thum beantragen durfte. Das wertvolle und lang ersehnte Dokument erreichte mich auf dem Postweg schließlich Ende 1976 und erlaubte mir die Einreise in die Deutsche Demokratische Republik zum 1. Januar 1977. Ich glaube, ich war damals der glücklichste Teenager der Welt – auch ohne Handy und Computer …

Schon am 3. Januar 1977 schritt ich erwartungsvoll und aufgeregt vom Bahnhof Aue in Richtung Bahnbetriebswerk. Allerdings zu spät, denn da war es um die „Preußenherrlichkeit“ bereits geschehen. Unerfahren und in „westlich-jugendlicher“ Ahnungslosigkeit war ich einfach ins Bw marschiert und entdeckte die in einer langen Reihe abgestellten „Achtundfünziger“ sowie einige Tenderloks der Baureihe 86.

„Da kommst du aber leider ein paar Wochen zu spät, die Dampfloks fahren seit Herbst hier nicht mehr!“, erzählte mir ein herbeigeeilter Eisenbahner und gab mir sodann den gut gemeinten Rat, schleunigst die Reichsbahnanlage wieder zu verlassen. Eine offizielle Fotografiergenehmigung hatte ich natürlich nicht in der Tasche. Schnell schoss ich noch ein Bild der abgestellten 58 1800. Zwar wurde sie offiziell noch als einsatzbereite Reservelok vorgehalten, doch der dicke Schnee auf Kesselscheitel, Pufferbohle, Führerhaus und Tender zeugte davon, dass sie ihre bereits rostigen Räder schon lange nicht mehr bewegt hatte und es auch wohl nie wieder aus eigener Kraft tun würde.

Traurig, sehr traurig schlich ich völlig frustriert und gesenkten Hauptes zurück zum Bahnhof Aue mit dem Gefühl, die „Eisenbahnchance“ meines Lebens um wenige Tage für immer und ewig verpasst zu haben.

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