125 Jahre Arlbergbahn: Grandiose Kulisse

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Gut 28 Stunden dauerte die Fahrt von Wien nach Paris. In den Bahnhöfen Landeck, St. Anton und Langen gab es für hungrige Fahrgäste so genannte Speisekörbchen zum Mitnehmen, deren Inhalt das Kursbuch wie folgt beschreibt: Schinken, kalter Braten, eventuell für einen solchen ein Viertel Huhn, Torte, Käse, Brot, eine kleine Flasche Wein, eine kleine Flasche Gießhübler, Salz, Pfeffer, ein Trinkglas, ein Korkenzieher, ein Messer und eine Papierserviette als Eigentum des Erstehers. So ausgerüstet war die Reise durch die Tiroler und Vorarlberger Bergwelt ein doppelter Genuss. 

Aufschwung für St. Anton
Bedingt durch die politischen Veränderungen kam der Fernreiseverkehr über den Arlberg nach dem ersten Weltkrieg nur sehr langsam in Fahrt. Ab 1919 verkehrte dreimal wöchentlich ein Luxuszug der Siegermächte (Train de Luxe militaire) von Paris nach Prag und Warschau, der für das heimische Publikum gesperrt war.
In Folge der Ruhrbesetzung lief der Orientexpress von Anfang 1923 bis Ende 1924 über die Arlbergroute und im Sommer-Kursbuch von 1925, dem ersten Fahrplan für durchgehend elektrischen Verkehr, sind sechs Arlberg-Schnellzüge verzeichnet, darunter der nur dreimal wöchentlich verkehrende Schweiz-Arlberg-Express (S.A.V.E.) von Calais nach Wien, ein Zug Paris – Zürich – Wien – Warschau, ein nur im Hochsommer täglich verkehrender Express Vlissingen – Köln – Frankfurt – Stuttgart – Lindau – Bregenz – Innsbruck – Wien und ein Zug von Genf und Basel über Innsbruck – Wien nach Budapest und Warschau. Das vornehme Reisepublikum war wieder zurück. Neu war jetzt der Arlberg selbst als Reiseziel, denn St. Anton erlebte als Wintersportort einen rasanten Aufschwung.

Der Sommerfahrplan 1938 – die Arlbergstrecke gehörte nun zur Deutschen Reichsbahn – brachte keine wesentlichen Änderungen im internationalen Verkehr. Der S.A.V.E. war schon Anfang der dreißiger Jahre zum Arlberg-Orient-Express geworden und verkehrte als Schlafwagenzug 1. und 2. Klasse (L129/L130) zwischen Boulogne und Bukarest mit Kurswagen nach Athen. Mit Ausbruch des Krieges ging der Schnellzugverkehr jedoch drastisch zurück. In den letzten Kriegsjahren blieben noch zwei Schnellzugpaare zwischen Wien und Lindau bzw. Wien und Dortmund.

Der Niedergang der großen Namen
Die Arlbergbahn hatte für den Nachschub keine herausragende Bedeutung und blieb deshalb im Krieg und bei Kriegsende von größeren Zerstörungen verschont. Schon Ende Mai 1945 rollte der erste Zug und noch im selben Jahr kam auch der Arlberg-Orient-Express wieder auf die Gleise. Ab 1947 verband er wieder Paris und Calais mit Wien, Bukarest, Belgrad, Prag und Warschau. Der Arlberg wurde zum Nadelöhr, denn nahezu alle Kurswagen des Arlberg-Orient-Express kamen hier zusammen. In der Hauptsaison mussten daher oftmals Entlastungszüge gefahren werden.

Doch schon in den 1950er-Jahren begann der Niedergang der internationalen Langstreckenzüge. Nach und nach wurde der Laufweg verkürzt, Flügelzüge und Kurswagen wurden eingestellt, das Wort Orient aus dem Namen gestrichen. Ab 1983 verkehrte er als Arlberg-Express mit seinen französischen Wagen lediglich noch zwischen Paris und Innsbruck und kam zehn Jahre später nur noch an wenigen Tagen als Saisonzug zum Einsatz.

Taktverkehr und Nostalgie-Reisen
Heute gibt es auf der Arlbergbahn EuroCitys mit modernstem Wagenmaterial im Zweistundentakt bis Feldkirch und weiter nach Bregenz oder in die Schweiz, ergänzt um einige RegionalExpress-Züge (REX). Besonders erwähnenswert sind noch der EN 466/467 „Wiener Walzer“ Budapest – Zürich, der Autoreisezug Wien – Feldkirch mit nur zwei Zwischenhalten in Salzburg und Innsbruck und einer Fahrzeit von sechs Stunden und 35 Minuten sowie der InterCity Innsbruck – Lindau – Münster (Westfalen), letzterer mit einer Wendezuggarnitur der Deutschen Bahn.

Trotz aller Modernität und Uniformität kann man aber auch heute noch zumindest als Zaungast den Glanz der großen Luxuszüge erleben, dann nämlich, wenn der Venice-Simplon-Orient-Express (V.S.O.E.) auf seinem Weg von Paris nach Venedig den Arlberg passiert. Mit perfekt restaurierten CIWL-Wagen der zwanziger und dreißiger Jahre ist er mehrmals im Jahr für ein gut betuchtes Publikum unterwegs, dem das Reisen und nicht nur das Ankommen etwas bedeutet. Ein langes Band aus dunkelblau und creme/dunkelblau lackierten Wagen windet sich dann in der Sonne blinkend und blitzend durch die Bergwelt und lässt erahnen, wie vornehm das Reisen früher war.

Von Thomas Wunschel

Ein Artikel aus LOK MAGAZIN 04/09

Im LOK MAGAZIN 05/09 beleuchtet Thomas Wunschel den Fahrzeugeinsatz auf der Arlbergbahn im Wandel der Zeiten.

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