960 Millionen Euro

JAHRHUNDERTPROJEKT - Die Idee eines Tunnels unter der Innenstadt von Leipzig ist über 100 Jahre alt. Erst die Euphorie der Wiedervereinigung ließ das Projekt Wirklichkeit werden – allerdings zu einem stolzen Preis.

 
Citytunnel Leipzig © Lok-Magazin
Am 14. Dezember feierten viele Leipziger, weil sich ein Jahrzehnte dauernder Traum erfüllt hatte: Die S-Bahn durchquert nun in einem Tunnel die Stadt. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich und DB-Vorstandsvorsitzender Rüdiger Grube weihten ihn und die neuen S-Bahn-Linien ein.

Das Fest soll Millionen gekostet haben, ein kleiner Betrag im Vergleich zu den Gesamtkosten. Bereits 1892 schlugen die Königlich Sächsischen Staatseisenbahnen vor, einen Zentralbahnhof zu errichten und ihn mit einer Stadtbahn zum Bayrischen Bahnhof zu verbinden.

Von diesem Kopfbahnhof reisten damals jährlich 1,5 Millionen Menschen ab. Bis 1915 wurden in Leipzig die alten Kopfbahnhöfe geschlossen, wie der Berliner, der Thüringer, der Dresdner, der Eilenburger, teilweise wurden deren Gebäude abgerissen. An ihrer Stelle trat der Zentral- bzw. Hauptbahnhof, aber die Verbindungsbahn blieb in Ansätzen stecken.

TUNNELIDEE AB 1990 WIEDER AKTUELL

Zwei Weltkriege und die unzureichenden Investitionen für die Deutschen Reichsbahn in der DDR vereitelten den Bau des Tunnels. Die S-Bahn konnte vom 12. Juli 1969 an nur gemeinschaftlich mit anderen Zügen auf Gleisen gleich einem Herz das Stadtzentrum umfahren.

Erst nach 1990 erscheint die Verbindungsbahn wieder auf der Tagesordnung. Denn die Verkehrsplaner und die Politiker meinten damals, die Region brauche für ihre Entwicklung nicht nur eine direkte S-Bahn-Verbindung Halle – Leipzig und der künftige Flughafen Halle/Leipzig einen Eisenbahnanschluss, auch durchgehende Verbindungen bis in die Mitte der Stadt seien nötig.

Das Tunnelprojekt von einst lebte wieder auf; die Zulaufstrecken sollten im Tunnel zwischen Hauptbahnhof und Bayrischem Bahnhof gebündelt werden. Ob der Fernverkehr durch die Stadt geführt wird, blieb vorerst offen. Die Stadtverordnetenversammlung beschloss 1992 die regionale Konzeption; deren Verkehrsausschuss behandelte im Mai 1993 die Trassenführung durch den Tunnel, der um diese Zeit City- Tunnel genannt wurde, abgekürzt CTL.

Kajo Schommers, des damaligen sächsischen Wirtschaftsministers, Idee war es bereits 1991, dass vier Tunnelröhren gebaut werden, zwei für den Nahverkehr und zwei für den Fernverkehr. Die Fernzüge sollten eine schnelle Verbindung nach München über Hof herstellen.

Daraus wurde allerdings nichts, denn zu den von der Bundesregierung verabschiedeten Verkehrsprojekten Deutsche Einheit gehörte als Nummer 8 der Aus- und Neubau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke Berlin – München, aber über eine Linie in der Mitte zwischen Halle und Leipzig und weiter über Erfurt nach Nürnberg.

Wie zu Preußens Zeiten wird der größte Teil der Züge über Halle fahren und nicht auf dem Umweg über Leipzig. Die Verbindung über Hof wurde ohnehin abgelehnt, die südliche Ein- und Ausfahrt für Fernzüge am Tunnel nicht einmal ansatzweise erwogen. Die beiden Tunnelröhren für den Fernverkehr brauchten also nicht gebaut zu werden; zwei für den Nahverkehr genügten.

1995 wurde die Öffentlichkeit in die Ergebnisse der Tunnelplanung einbezogen. Die Gleise senken sich im Hauptbahnhof und unter den bisherigen Bahnsteigen 3 und 4 in die Tiefe und kommen erst südlich vom Bayrischen Bahnhof wieder ans Tageslicht.

Mit dem Projekt waren weitere Verbesserungen des Schienennahverkehrs verbunden, wie die Haltepunkte Nord und MDR sowie die Durchbindung der S-Bahn zu entfernteren Zielen, also eine Kombination von S-Bahn- und Regionalzügen.

PORTIKUS AM "BAYRISCHEN" VERSCHOBEN

Im Lauf der folgenden Jahre wurde der Westteil des Bahnhofsgeländes zum Bauplatz; viele Gleise und alle Stellwerke verschwanden. Der Bayrische Bahnhof verlor 2001 den letzten Rest vom Zugverkehr, die Gleise und die Stellwerke wurden abgebaut.

Der denkmalgeschützte Portikus wurde für die Baufreiheit vorübergehend um 30 Meter in die östliche Richtung verschoben. So wie sich die Tunnelbohrmaschine „Leonie“ im Untergrund vorwärtsfraß, erhöhten sich die Kosten. 915 Millionen Mark (468 Millionen Euro) sollte das Bauwerk kosten.

Als Stadt, Land, Bund und Bahn 2002 die Rahmenvereinbarung für den Tunnel unterschrieben, war die Summe auf 572 Millionen Euro gestiegen, im Sommer 2006 auf 601 Millionen Euro, Ende 2007 auf 708 Millionen Euro. Weil es dem Wirtschaftsminister Schommer bereits bei den Planungen nicht schnell genug voranging, ließ sich der Freistaat Sachsen auf eine für ihn unvorteilhafte Finanzierung ein.

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