Baureihe 64 (II): Mit dem „Bubikopf“ übers Land

275 Loks gelangten in den Bestand der Deutschen Bundesbahn. Ab 1960 begann die Ausmusterung, Schienenbusse und vor allem die V 100 sowie das allgemeine Nebenbahnsterben nahmen ihnen die Einsatzräume. Ende 1974 fuhr die letzte 64er in der Oberpfalz.

Von Stefan Vockrodt

 
64 449 mit einem Personenzug nach Crailsheim in Laudenbach (Württ) am 5. Mai 1967Foto: E. Fischer/Slg. GeraMond © E. Fischer/Slg. GeraMond

Jetzt aber ein dreifach Hoch unserem Bubikopf! Wer kennt da wieder den „Bubikopf“ noch nicht? Er verkrieche sich in den hintersten Winkel und verhülle schamhaft sein Haupt!“ – Mit diesen Worten sang Karl-Ernst Maedel in seinem legendären Buch „Liebe alte Bimmelbahn“ (1966) das „hohe Lied“ auf die 64. Und in der Tat, die 64er brachte ab 1928 nicht nur äußerlich Modernität auf die „sekundären“ Bahnstrecken der Reichsbahn. Dass irgendwann – wahrscheinlich schon sehr früh – Personale begannen, sie „Bubikopf“ zu rufen, könnte auch unmittelbar mit der von der Lok verkörperten Modernität zusammenhängen. Schließlich stand diese Frisur auch für die modernen, jungen und selbstbewussten Frauen der goldenen Zwanziger. Und ähnlich „verrucht“ schien es wohl manchem, dass die alte Reichsbahn nichts besseres zu tun hatte, als diese leichte Nebenbahnlok zur ersten in größeren Stückzahlen gebauten Einheitslok zu machen.
Diese Modernität war 1945 schon wieder Vergangenheit, der Spitzname indes hielt sich. Karl-Ernst Maedel übrigens führte ihn auf das doch etwas abgeschnitten anmutende Vorderende des Kessels zurück, wo der recht lange Oberflächenvorwärmer den Kessel wie zwei freigeschnittene Ohren flankiert – aber das alles ist Spekulation. Warum und ab wann genau die Lok „Bubikopf“ genannt wurde, haben die Erfinder des Namens wohl mit ins Grab genommen.
Keine Spekulation dagegen ist, dass die 64 auch nach 1945 in beiden Teilen Deutschlands, aber auch in Polen und der Tschechoslowakei eine nicht unerhebliche Rolle in der Zugförderung spielte. Danach sah es aber im Westen Deutschlands unmittelbar nach Kriegsende nur bedingt aus.
 

Erst allmählich wieder in den Dienst
Der Bestand der Baureihe 64 war bei Kriegsende nicht ganz so durcheinander gewürfelt worden wie der anderer Loks. Die 64er blieben zu einem großen Teil in ihrem Heimatbezirken stehen, der Anteil nach Westen abgefahrener Loks war relativ klein.
Die letzte große Umbeheimatung vor Kriegsende fand 1942 statt, als die RBD Münster ihre 64er gegen die 24er der RBD Schwerin tauschte. Von diesen Lokomotiven fanden sich nach der Befreiung die 64 001, 004 und 006 in der britischen Zone wieder. Dort war der „Bubikopf“ aber bis 1947 nur Reservegattung, die Loks standen oft nur herum bzw. sie wurden bis zum Erreichen der nächsten Untersuchungsfrist eingesetzt und dann erst einmal abgestellt. Anders im südlichen Teil der späteren Bundesrepublik. In der US-Zone befanden sich Ende 1945 immerhin 159 Loks im Erhaltungsbestand, zuständig waren die Reichsbahnausbesserungswerke Darmstadt und Weiden. Auch bei der Südwestdeutschen Eisenbahn gab es in den Direktionen Trier und Mainz 38 betriebsfähige 64er. Bei den Saarbahnen dagegen waren keine betriebsfähigen 64er vorhanden. Fünf Maschinen, die 64 038, 043, 378, 470 und 501 wurden in der amerikanischen bzw. französischen Zone wegen starker Kriegsschäden ausgemustert.
Bis 1949 wurden dann die anderen 275 in Westdeutschland aufgefundenen 64er aufgearbeitet und von der Deutschen Bundesbahn übernommen. Ein Blick auf die Stationierung 1950 zeigt, dass die 64 weiterhin als Nebenbahnlok galt und entsprechend eingesetzt wurde. Die Loks waren in meist sehr kleinen Beständen fast über das gesamte Bundesgebiet verstreut, vom Bw Husum im Norden bis in den äußersten Südosten der neuen Republik.
Eines der Gebiete der jungen BRD, in denen keine 64er in Dienst stand, war der Südwesten. Die BD Karlsruhe hatte sich Anfang 1950 von ihrer letzten 64 verabschiedet, und dabei sollte es zum Ende der Dampftraktion bleiben. Dies lag auch daran, dass die 64 im direkten Vergleich der badischen VI c (754, 10-11) deutlich unterlegen war. Auch in der BD Münster im Nordwesten war die 64er nicht vertreten, hier bediente ihre Schlepptenderschwester, die Baureihe 24, das „Steppenpferd“, die langen Nebenstrecken. Selten war die 64 auch im hessischen Mittelgebirge.
 

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