Die T 20

Baureihe 95: Zweifel an der Kraft der Reibung

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Weil die preußische T 20 die gleichen Kolben- und Schieber­abmessungen wie die Lokomotiven der Tierklasse hatte, wären bei höherer Fahrgeschwindigkeit die mittlere Kolbengeschwindigkeit und die hin- und hergehenden Massen in einen kritischen Bereich geraten. So erhöhte man den Kuppelraddurchmesser bei der T 20 auf das Standardmaß der Güterzugloks von 1.400 mm (Tierklasse nur 1.100 mm). Das bedingte einen größeren Kuppelradachsstand und gab die Möglichkeit, einen größeren Kessel unterzubringen.

Lieferserien und Probefahrten
Die ersten zehn T 20 lieferte August Borsig. Die Maschinen waren noch unter dem Gattungsbezirk MAGDEBURG mit den Bahnnummern 9201 bis 9210 bestellt worden, sind aber Anfang 1923 mit den Fabriknummern 11.105 bis 11.114 und den Betriebsnummern 77 001 bis 77 010 in Dienst gekommen. 1926 sind die Maschinen mit dem dritten und endgültigen Umzeichnungsplan in 95 001 bis 95 010 umgezeichnet worden.

Zwischen September und Dezember 1923 lieferte Borsig eine zweite Serie von acht Lokomotiven mit den Fabriknummern 11.648 bis 11.655. Die Abnahme und Indienststellung aller Lokomotiven, die Borsig geliefert hatte, erfolgte durch die Eisenbahndirektion Berlin, der Einsatz erfolgte jedoch in Bahnbetriebswerken an Mittelgebirgsstrecken.Parallel mit der Fa. August Borsig und nach deren Zeichnungsunterlagen fertigte die Hanomag in Hannover 17 Maschinen der Gattung T 20 mit den Fabriknummern 10.177 bis 10.193. Die Abnahme der 95 019 bis 95 035 erfolgte im Raw Hannover-Leinhausen. Eingesetzt wurden sie in den Bahnbetriebswerken Suhl, Arnstadt, Probstzella und Dresden-Friedrichstadt. Die zweite Lieferserie der Hanomag aus dem Jahr 1924 umfasst die Betriebsnummern 95 036 bis 95 045 mit den Fabrik­nummern 10.251 bis 10.260. Überdies lieferte die Hanomag 1923 noch drei Ersatzkessel (Fa.-Nr.
015 955, 015 956 und 015 957.

Gleich nach Ablieferung der ersten T 20 beauftragte das Eisenbahn-Zentralamt die Lokomotivabteilung des Raw Grunewald mit der Ausrichtung von Versuchsfahrten zur leistungstechnischen Untersuchung der Lokomotive. Diese bewährte Praxis ist nicht nur von der DRG, sondern auch von DR und DB fortgeführt worden. Die Deutsche Bahn hat sie aus Kostengründen abgeschafft.

Die Fahrten fanden auf der klassischen preußischen Versuchstrecke von Grunewald über Michendorf und Brück nach Belzig und Wiesenburg statt. Wie im Protokoll der 5. Beratung des Engeren Lokomotivausschusses von 1923 nachzulesen, ist die Lok zwischen Grunewald und Belzig vor einen Güterzug von 1.600 Tonnen Masse gespannt worden. Die Heizflächenbelastung erreichte mit 57 kg/m2h die theoretisch zulässige Kesselbelastung, aber die T 20 arbeitete noch nicht an ihrer Leistungsgrenze. Weitere Meßfahrten mit Zugmassen von 1.200, 1.400 und 1.500 Tonnen fanden zwischen Sangerhausen und Blankenheim – also auf der bekannten Rampe nach Riestedt – statt, wobei man Zughakenleistungen von 1.450 PSi erreichte. Bei diesen Fahrten erbrachte die T 20 den Nachweis, dass sie für den schweren Güterzugdienst im Hügelland bestens geeignet und auch die stärkste Lokomotive im Bereich der preußisch-hessischen Eisenbahnverwaltung war.

Das Reichsverkehrsministerium beauftragte den Lokomotivausschuss, die Grenzwerte von Reibungs- und Zahnradbetrieb zu ermitteln. Im März 1923 fanden Versuche mit der T 20 auf den Strecken der Harzbahn (60 Promille) statt, im Juni auf den Thüringer Zahnradstrecken (bis zu 67 Promille Steigung). Die T 20 fuhr auch auf den württembergischen Zahnradstrecken von Honau nach Lichtenstein (100 Promille) und Klosterreichenbach – Freudenstadt (50 Promille), hier im Vergleich mit der neuesten württembergischen Zahnradlokomotive, der Baureihe 975. Das Ergebnis der Versuche auf der Harzbahn, den thüringischen Strecken und den Strecken in Württemberg war die Erkenntnis, dass die Grenze des Reibungsbetriebes bedenkenlos von 40 auf 66,7 Promille heraufgesetzt werden kann und auch eine Steigung von 70 Promille noch sicher im Reibungsbetrieb befahren werden darf. Voraussetzung dafür war, wie schon erwähnt, die durchgehende Druckluftbremse bei allen Wagen, eine Gegendruckbremse an der Lokomotive und eine leistungsfähige Sandstreuanlage für alle gekuppelten Radsätze.

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