Chronik 1960: Neuer Hauptbahnhof für Braunschweig

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Der neue Durchgangsbahnhof wurde ausgeführt nach dem „Entwurf 1955/1957“, der die Anlage teilte in den Personen- und den Abstellbahnhof. Vier Bahnsteige sind an den Gleisen 5 bis 8 für den Ost-West-Verkehr bestimmt, an den Gleisen 1 bis 4 für die Züge in Richtung Harz und nach Uelzen. Dazwischen liegt das Verkehrsgleis 41, das auch von Zügen befahren werden kann.

Dominierender Großbau
Für den Gepäck- und Postverkehr wurden an den beiden Bahnsteigenden Rampen errichtet, die in den östlichen Gepäck- und den westlichen Posttunnel führen. Damit die Lokomotiven von und zum Abstellbahnhof nicht den Zugverkehr an den Bahnsteiggleisen stören, wurde eine zweigleisige schienenfreie Verbindung mit 280 Meter langer Unterführung zum Bahnbetriebswerk bzw. Stellwerk 22 geschaffen, wegen der fehlenden Übersicht mit automatischen Deckungssignalen ausgestattet und bereits das Profil für die elektrische Oberleitung vorsehend.

Die Öffentlichkeit nimmt als Hauptbahnhof eher das mächtige Empfangsgebäude wahr. Kaum noch jemand weiß, dass keiner der Entwürfe der Wettbewerbsausschreibungen zwischen 1938 und 1954 die Jury begeistern konnte. Unter den 51 Entwürfen des Jahres 1955 sind zwei, die den zweiten Preis erhielten, einer von Erwin Dürkop, dem Architekten der Bundesbahndirektion Hannover. Er sah die Haupthalle als vorgezogenen kantigen Turm vor, der mit der Bebauung an der Kurt-Schumacher-Straße harmonieren sollte.
Gebaut wurde allerdings ein 98 Meter langes und 29 Meter hohes Verwaltungsgebäude, das „Amtsgebäude“, mit acht Geschossen für Dienststellen der Bundesbahn. Heute nennt man so etwas respektlos „Platte“. Leicht versetzt am Fuße des Gebäuderiegels liegt die verglaste Schalterhalle. In der wird der Reisende ohne aufwändiges Leitsystem in den Fußgängertunnel gezogen, der die Bahnsteige und die Halle verbindet.

Städtebauliche Probleme
Der Neubau des Bahnhofsgebäudes wurde als „ohne Vergleich und ohne Nachfolger“ gewürdigt, auch als Abkehr von bisherigen Architekturformen. Die Deutsche Bahn nutzt heute kaum noch die Diensträume im Ämtergebäude, und unbefriedigend blieb der Anschluss des Bauwerks an die Stadt, die breite Kurt-Schumacher-Straße bildet keinen optischen Anschluss. Den alten Bahnhof kaufte eine Bank, die das Gebäude renovieren, innen aber vollkommen verändern ließ. Die Hoffnung, dass sich Braunschweig städtebaulich auf den neuen Bahnhof zuentwickeln würde, hat sich zumindest ansatzweise erfüllt.

 

Einige neue Stellwerke
Selbstverständlich war es für den Neubau, die neuzeitlichen Sicherungsanlagen vorzusehen. Und das waren die Relais- bzw. Gleisbildstellwerke. Bis 1960 hatten sich auf einigen großen Bahnhöfen bereits die Zentralstellwerke bewährt. In Braunschweig Hbf mit den sechs Streckeneinführungen wurde als Tagesbelastung mit 430 Zügen und 500 Rangierfahrten gerechnet. Obwohl der Bedienraum große Stelltafeln erhalten sollte, wurde damals auf gute Sicht viel Wert gelegt. Dafür fand sich ein Standort auf der Ostseite, von dem aus der Fahrdienstleiter die wesentlichen Teile der Gleisanlagen übersah.

„Bhf“ erhielt als Technik die Bauform SpDr S 59 und die Gestalt eines Langgebäudes mit seitlich angesetztem Stellwerksturm. Der Turm enthält im obersten Geschoss den Bedienraum, darunter den Fernmelderaum, ferner den Relaisraum für die Zugnummernmeldung, den Kabelraum, Schrankraum und den Heizungskeller. Im Langgebäude waren im Kellergeschoss die technischen Anlagen, im Erdgeschoss der Schaltraum und ein Aufenthaltsraum untergebracht. Der mit seinem Westteil in den Ostkopf des Personenbahnhofs übergehende Abstellbahnhof, war in seiner Betriebsabwicklung weitgehend vom Personenbahnhof unabhängig. Deshalb erhielt er im östlichen Dienstgebäude das Rangierstellwerk „Ba“ und nicht, wie ursprünglich geplant, zwei Stellwerke.

Durch die neue Streckenführung sind westlich des neuen Personenbahnhofs die früheren mit mechanischen Stellwerken ausgestatteten Abzweigstellen Teufelsspring, Gabelung und Okerbrücke in ihrer Lage und Gleisanordnung stark verändert worden. In deren Nachbarschaft waren bereits beim Bau des Verschiebebahnhofs von 1938 an weitere vier Abzweigstellen (Lünischteich, Schmiedekamp, Buchhorst und Helmstedter Straße) entstanden. Sie wurden bis auf „Helmstedter Straße“, die man an das Stellwerk 2 des Verschiebebahnhofs anschloss, ebenfalls vom Stellwerk „Bhf“ aus fernbedient, und zwar wegen der unterschiedlichen Entfernung Gabelung und Teufelsspring ferngesteuert, Okerbrücke, Mückenburg, Lünischteich und Schmiedekamp ferngestellt.

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Fotos: 
Dieter Höltge
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