Die Baureihe 01 150

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Am Abend des 12. Juli gab es im Lokdepot zu Bösingfeld eine große Abschlussfeier. Vor dem Schuppentor ruhte sich unser Schmuckstück aus, hatte aber diese Veranstaltung nicht ganz ohne Macken überstanden. Ein leichtes Zischen war nicht zu überhören, drei Siederohre hatten den Geist aufgegeben. Das war also der allerletzte Einsatz mit unserer 01 150, in die wir acht Jahre so viel Herzblut investiert hatten. Wir waren traurig, schließlich wusste keiner von uns, wie die Zukunft der Lok aussehen würde. Die fehlende Infrastruktur im ehemaligen Bw Bielefeld ließ auch keine technische Unterhaltung der Maschine zu.


Wieder im Besitz der Bundesbahn

Im Spätsommer beauftragte mich der Eigentümer, das Gespräch mit dem damaligen Leiter des Verkehrsmuseums Nürnberg zu suchen. Während einer längeren Dienstpause in Hamburg führte ich ein Telefonat mit Herrn Schwerin bezüglich der 01 150, und ich hatte dabei den Eindruck gewonnen, dass dieser die zweimalige Jubiläumslokomotive gern wieder zurückkaufen würde. Danach kam es tatsächlich zu einem Rückkaufvertrag zwischen Herrn Seidensticker und dem Verkehrsmuseum – die Deutsche Bundesbahn, so vermutete ich, hatte wohl plötzlich die Marktlücke entdeckt, merkte endlich, dass man mit Dampfsonderzügen Geld verdienen konnte. Mit einem weinenden und einem lachenden Auge überführten wir unser Freizeitwerk am 17. Januar 1988, gezogen von einer Lok der Baureihe 211, bei furchtbarer Kälte nach Nürnberg. Angehängt war dabei ein mit wertvollen Ersatzteilen gefüllter Güterwagen. Die Seitenwände wurden mit dem Text „Wir fahren nach Nürnberg und machen wieder Dampf“ versehen.

Als wir am 18. Januar morgens durchfroren in Nürnberg ankamen und dann die Lok auf die Drehscheibe des Bw 1 schoben, konnten wir unsere Traurigkeit nicht verbergen. Schließlich war es doch ein Abschied für immer. Bilanz: Bei Übergabe hatte die Lok seit dem 23. Juni 1982 6.788 Kilometer zurückgelegt, und das war unser Beitrag zur Freude der vielen Fans. Der neue alte Eigentümer überführte die 01 150 nach Offenburg. Eine fällige Hauptuntersuchung fand im dortigen AW statt. Danach stellte man die Lok im Rahmen einer sogenannten Premierenfahrt von Nürnberg nach Hof und zurück am 21. Oktober 1989 der Öffentlichkeit vor. Martin Hahlbohm und ich waren dazu eingeladen. Wir reisten also schon am Vorabend an und fuhren gleich per S-Bahn zum Bw, um „unsere“ Lok endlich mal wieder in Ruhe zu begrüßen.

Als wir den Schuppen betraten, verschlug es uns fast die Sprache: Das war nicht mehr unsere 01! Die Lok war von vorn bis hinten regelrecht verhunzt. Die einst kraftstrotzende Ausstrahlung vorn war dahin – man hatte tatsächlich wieder eine Schürze montiert. Ein anderer „Künstler“ in Franken hatte die für mich fragwürdige Idee gehabt, den Kohlenkasten mit einem umlaufenden 45-Grad-Aufsatz zu versehen. Von hinten sah die Lok nun aus wie eine 78er. Derartige Bauformen waren mir trotz meiner langjährigen Tätigkeit auf Dampflokomotiven verschiedener Baureihen fremd, zumal wir Bielefelder in den sechziger Jahren mit Kölner 01ern die Spitzen der Interzonenzüge bis Hannover ausfuhren. Die seitlichen Wasserkastenbleche waren erneuert und aus mehreren Elementen zusammengesetzt. Die Schweißnähte waren zwar geschliffen, zum Spachteln hatte es leider nicht gereicht. Solch einen Pfusch kannten wir in Bielefeld nicht!

Am folgenden Morgen stand der Sonderzug in Nürnberg am Bahnsteig. Viele Menschen verfolgten das Ereignis. Auf dem Führerstand erkannte ich die Nürnberger Personale und Horst Troche mit einem alten Schlapphut am Regler. Mit solch einer Kopfbedeckung bin ich während meiner Dienstzeit von 50 Jahren und fünf Monaten noch nie durch die Gegend gefahren.


Enttäuscht und wütend …

Wir hatten in Bielefeld von 1980 bis 1988 mehr als 3.000 Stunden mit Freude in die 01 150 investiert und das musste den Verantwortlichen in Nürnberg auch bekannt gewesen sein. Dennoch: Keiner von denen da oben hielt es für nötig, uns beide zu fragen, ob wir vielleicht mal den Führerstand betreten möchten, geschweige denn, mir auf einem Teilstück der Strecke anzubieten, meine Heizerkünste vorzuführen. Ich war an diesem 21. Oktober 1989 ärgerlich, traurig, ja wütend über diese Arroganz!

Die Sonderfahrt erlebten wir beide also im Zug. Herr Schwerin hatte mich dazu verdonnert, den Ehrengästen in den Erste-Klasse-Abteilen belegte Brote auf dem Silbertablett zu reichen. Warum bin ich damals nur nach Nürnberg gefahren?

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