Die Baureihe E 69

1906 machte die LAG 1 erste Fahrversuche. Alles funktionierte, und zwischen Murnau und Oberammergau konnte der elektrische Betrieb beginnen.

 
Noch Zeit bis zur Rückfahrt nach Murnau ist für die E 69 03 im September 1991 in Oberammergau. Foto: Brian Rampp © Brian Rampp
Die von einer privaten Gesellschaft im Jahr 1900 eröffnete Localbahn von Murnau nach Oberammergau sollte ursprünglich mit Drehstrom elektrifiziert werden. Nach Konkurs der Bau- und Betreibergesellschaft übernahm 1904 die Münchner Localbahn A. G. (LAG) die Strecke und rüstete die elektrischen Anlagen auf Einphasen-Wechselstrom mit 5,5 kV und 16 Hz um.

Erstmals wendete damit eine deutsche Bahngesellschaft dieses System im planmäßigen Betrieb an. Mit etwas veränderten Spannungs- und Frequenzwerten ist es das noch heute in Deutschland und in anderen europäischen Ländern gebräuchliche.

So einfach kann eine Lok sein!
Für den Personenverkehr beschaffte die LAG Triebwagen, während sie für den Güterverkehr im Sommer 1905 bei SSW eine elektrische Lokomotive bestellte. Diese nahm unter der Bezeichnung LAG 1 im Februar 1906 den Betrieb auf. Die im mechanischen Teil von der Katharinahütte in Rohrbach (Pfalz) gefertigte Maschine war die erste normalspurige Lokomotive für Einphasen-Wechselstrom in Deutschland.

Die LAG 1 wies einen Mittelführerstand auf, von dem nach beiden Seiten zwei vorn abgerundete Vorbauten abfielen. Darunter verbargen sich Teile der elektrischen Ausrüstung und der im Jahr 1907 nachgerüsteten Westinghouse-Bremsanlage (zuvor besaß die Lok lediglich eine Wurfhebelbremse). Der Lokkasten ruhte auf einem Profilstahlrahmen mit zwei Lenkachsen.

Mit dem Tatzlagerantrieb auf beiden Radsätzen wurde eine Antriebsart gewählt, die ihrer Zeit weit voraus war und erst in den 1930er-Jahren bei der Reichsbahn in großem Stil angewendet wurde. Zusammen leisteten die Motoren 145 kW. Zunächst wurde die braunrot mit dunklen Zierstreifen lackierte Lok zahlreichen Versuchsfahrten unterzogen, die die Erwartungen mehr als erfüllten.

Daher erfolgte bald die Bestellung einer zweiten Lok, in die Erfahrungen aus dem Betrieb der LAG 1 einflossen. Diese bei Krauss und SSW in Auftrag gegebene Maschine ging im Mai 1909 als LAG 2 in Dienst.

Die Verwandtschaft zur ersten Lok ließ sich zwar nicht leugnen, doch wurden einige Änderungen vorgenommen. So entfielen die Lenkachsen zugunsten fester Radlager. Der Kasten der Lok war etwas eckiger, die Vorbauten höher. Die Leistungsfähigkeit der zweiten Maschine war schon wesentlich größer. Auch die LAG 2 wurde mit Lyrabügel abgeliefert.

Die Konstruktion der LAG 2 befriedigte voll und ganz, sodass 1912 eine weitere Lok an die LAG geliefert wurde, die weitgehend auf der LAG 2 basierte. Dennoch gab es auch im Äußeren wieder Unterschiede. Die neue LAG 3 hatte Vorbauten, die bis an den vorderen Rand der Pufferbohle reichten, während sie bei LAG 2 davor enden.

So sind die Loklaternen bei der LAG 3 auch am Vorbau angebracht, nicht wie bei LAG 2 auf den Pufferbohlen. Die LAG 3 erhielt bereits bei Ablieferung einen Scherenstromabnehmer.

Notersatz nach Unfall 1921: LAG 4
Der schwere Unfall von LAG 1 und 2 im Juni 1921 und der damit verbundene längerfristige Ausfall beider Maschinen sowie die für 1922 geplanten Passionsspiele ließen die LAG nach einem schnellen und kostengünstigen Ersatz suchen. SSW bot eine Maschine an, die gänzlich von den bisher gelieferten abwich.

Es handelte sich dabei um die Hälfte einer Versuchslokomotive aus dem Jahr 1901, mit der Siemens zwischen Marienfelde und Zossen Versuche mit Drehstrom unternommen hatte. Jahrelang abgestellt, teilte SSW diese Lok in der Mitte. Eine Hälfte verblieb als Werklok 3 bei Siemens in Berlin und war dort bis in die 1980er-Jahre eingesetzt.

Inzwischen steht die weitgehend im Ursprungszustand erhalten gebliebene Maschine im Deutschen Technikmuseum im ehemaligen Bw Anhalter Bahnhof. Den anderen Teil rüstete SSW auf die Bedürfnisse einer Lokalbahn-Ellok um und lieferte sie Anfang 1922 als LAG 4 aus. Mit Endführerstand, langem Vorbau und darüber ragendem Dach unterschied sie sich stark von den anderen Zweiachsern.

Ausgezahlt hat sich diese gewagte Konstruktion nicht: Generell recht schadanfällig erlitt die Lok 1929 einen Trafoüberschlag mit Kabelbrand, wonach sie nur noch provisorisch ausgebessert als Reservelok bis zur Anlieferung der LAG 5 im Jahr 1930 verwendet und dann abgestellt wurde. Danach stand sie in der LAG-Hauptwerkstätte München-Thalkirchen als Ersatzteilspender.

Auf Initative eines Ingenieurs der LAG entschloss man sich im Jahr 1934 zu einem Neuaufbau, wobei allerdings kaum Teile aus der alten Konstruktion Verwendung fanden. Vielmehr lieferte Krauss einen weitgehend neuen Fahrzeugteil. Die von SSW hergestellte elektrische Ausrüstung wurde im Murnauer Bw installiert und war leistungsfähiger als bei der alten Lok.

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