Die preußische P 8 - die Beste!

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Unter den Eisenbahnfreunden genoss die P 8 seinerzeit längst nicht so einen guten Ruf wie beim Personal, sie war einfach da und wurde kaum beachtet, so wie Jahrzehnte später die 50, die V 100, die E 40 oder der Schienenbus. Dies änderte sich erst, als auch die P 8, längst als Baureihe 38.10-40, bei der DB 038, bezeichnet, in die Jahre kam.

Die Elektrifizierung der Hauptstrecken, neue V 100 und auch die Schienenbusse ließen die P 8-Bestände bei den Bundesbahn-Direktionen zusammenschrumpfen: 1959 begannen die planmäßigen Ausmusterungen, Ende 1965 waren von einst gut 1.200 DB-P 8 nur noch rund 150 Exemplare betriebsfähig, und damit wurden die Loks auch bei den Eisenbahnfreunden interessant. Direktion um Direktion trennte sich von den alten Preußinnen, ab 1970 gab es sie nur noch in der BD Stuttgart.

Doch diese letzten Exemplare hielten sich zäh im Betriebsdienst, sparsame Schwaben in der Direktion sorgten dafür, dass die Loks bis zum Ablauf der letzten Fristen auch eingesetzt wurden. Noch 1973 setzte das Bw Rottweil seine drei noch betriebsfähigen 038 382, 711 und 772 „artgerecht“ ein: vor leichten Eilzügen, im schweren Berufsverkehr  und im Nahgüterzugdienst. Erst zum Jahresende 1974 wurde mit 038 772 die letzte DB-P 8 trotz noch gültiger Fristen abgestellt – mit einer Ausmusterungsverfügung trennte sich die DB von ihren letzten aus der Länderbahnzeit stammenden Loks, betroffen waren hiervon auch die letzte T 18 und einige T 16.

Das Beispiel Crailsheim
Erinnert sei an dieser Stelle an den Ersatz der P 8 durch die moderne Baureihe 23 beim Bw Crailsheim. Ende 1965 verfügte das Bw noch über 25 preußische P 8, die Stück für Stück durch Loks der Baureihe 23 ersetzt wurden, bis sich Crailsheim im Sommer 1967 von der letzten P 8 trennte.

Eigentlich bot die Neubaulok nur Vorteile: Sie war rund 50 Prozent stärker und auch schneller als die alte Preußin, und auch der Dienst für das Personal sollte angenehmer sein, bot die 23 doch ein allseits geschlossenes und großräumiges Führerhaus statt der zugigen „P 8-Hütte“. Dazu kam bei den späten 23-Bauserien ein fast wartungsfreies Triebwerk mit Rollenlagern, was eine Arbeitserleichterung für den Heizer bedeutete. Doch was machten die Personale? Sie wollten sich nicht mit den neuen Loks anfreunden, Mischvorwärmer, Heißdampfregler und Seitenzugregler waren ihnen zuwider – sie fuhren lieber P 8, bis auch das letzte Exemplar abgestellt war …

Wie schon erwähnt: Mit der sinkenden Stückzahl wurde die P 8 der Liebling der Fans. Kaum eine andere deutsche Baureihe ist mit so vielen „Letzte Fahrt“ titulierten Sonderzügen aus dem Betriebsdienst verabschiedet worden. Das begann schon in den späten 1960er-Jahren, als so manches Bw seine letzte P 8 noch einmal vor einem Sonderzug auf die Strecke schickte, nachdem die Lok ihre letzten Monate nur noch unrühmlich als Hilfszugreserve verbracht hatte. Im Frühjahr 1972 ging gar die Tübinger 038 382 auf Deutschland-Tournee und absolvierte zahlreiche Sonderfahrten in Nord- und Westdeutschland.

Auf der Lok stand dann kein Tübinger Stammpersonal, die DB setzte Lokführer mit P 8-Erfahrung aus den Bahnbetriebswerken ein, die für die Durchführung der jeweiligen Fahrt verantwortlich waren. So fuhren nicht ohne Stolz Lokführer Schellberg und Heizer Frei vom Bw Hameln am 30. April 1972 mit der Tübinger Lok noch einmal über alte Stammstrecken der Hamelner P 8. Nach rund sieben Jahren P 8-Abstinenz machte es den beiden sichtlich Freude, noch einmal auf dem Führerstand zu stehen.

Auch in Tübingen und Rottweil, seit Mitte 1973 Heimat der letzten P 8, bespannten die Loks zahlreiche Sonderzüge. Am 31. Dezember 1974 war dann offiziell Schluss – 038 772 dampfte mit einem Sonderzug der Eisenbahnfreunde Zollernbahn noch einmal bis Basel. Doch auch diese Fahrt sollte noch nicht die letzte sein. Nachdem ein Eisenbahnfreund aus dem Raum Hamburg die letzte P 8 gekauft hatte, wurde sie im Februar 1975 nach Hamburg überführt und durfte – deutlich sichtbar am Führerhaus mit „ausgemustert“ gekennzeichnet – am 13. Februar 1975 noch einmal mit sieben Eilzugwagen voller Dampflokfreunde im Schlepp, von Hannover über die Heidebahn nach Uelzen dampfen.

Mehr als 3.700.000 Kilometer hatte die 1915 gebaute Lok bis dahin zurückgelegt, auch diese Zahl ist ein Beweis für die Klasse und Zuverlässigkeit der preußischen P 8. Mindestens 21 P 8 sind im In- und Ausland erhalten geblieben, und immer war zumindest auch eine betriebsfähig. Die „beste deutsche Dampflok“ lebt also weiter.

Von Martin Weltner

Ein Artikel aus LOK MAGAZIN 05/12.
 

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