Eine Lok der Reihe 477.0: Der tschechische Papagei

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Verbesserte Nachfolgerin
Als 1955 eine Nachlieferung anstand, änderte man auch das Heizflächenverhältnis zu Gunsten einer längeren Verbrennungskammer. In dieser überarbeiteten Ausführung kamen 22 Stück zur Ablieferung. Die auf 17 Tonnen angestiegene Radsatzlast bedingte dem Bezeichnungssystem der CSD folgend die Einreihung als 477.0 mit den Ordnungsnummern 039 bis 060. Das in Leichtbauweise gefertigte Antriebs- und Steuerungsgestänge war nun mit Rollenlagern ausgestattet. Nach konstruktiver Anpassung wurde schließlich auch die gesamte Reihe 476.1 in 477.001 – 038 umgezeichnet.

Im Betrieb entsprach die 477.0 voll und ganz dem ihr zugedachten Einsatzspektrum. Mit ihrer Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h war sie auch im Schnellzugdienst im Hügelland vorteilhaft verwendbar. Durch ihr hervorragendes Beschleunigungsvermögen eignete sie sich jedoch besonders zur Bespannung schwerer Doppelstockgarnituren im Berufsverkehr.

Ihre Einsatzstützpunkte waren die Depots Prag (Praha-Vrsovice), Brünn (Brno) und Pressburg (Bratislava). Im Zuge der Traktionsumstellung wurden die Lokomotiven später auch weniger wichtigen Einsatzbereichen zugeteilt.

Erste Ausmusterungen erfolgten 1972, der reguläre Betriebseinsatz endete 1979. Als letzte erhielt die 477.043 in den Bahnwerkstätten Ceske Velenice eine Hauptausbesserung, nachdem sie eine Zeit lang im Heizkraftwerk Malesice bei Prag als Werklok gedient hatte. Danach wurde sie im Heizhaus Louny (Laun) für Sondereinsätze vorgehalten.

Die 477.060 ging in den Besitz des Technischen Nationalmuseums über und fand in Chomutov (Komotau) eine Bleibe, bis sie im Mai 2009 Aufnahme im „Rundhaus Europa“ fand.
Bezüglich der architektonischen Gestaltung gilt wieder das lateinische Sprichwort „De gustibus non dispudandum est“ – über Geschmack soll  man nicht streiten. Insgesamt fällt der zur Entstehungszeit der Gattung en vogue gewesene sowjetrussische Einfluss auf, der sich in der sehr hohen Kessellage mit Verkleidung aller Aufbauten, dem mächtigen Stirnscheinwerfer und dem pflugförmigen Schienenräumer offenbart. Dominiert wird die Frontansicht von dem von kleinen Windleitblechen eingerahmten plastisch geformten Sowjetstern. An die Stelle der einst gefälligen Rauchkammertür mit Verschlussrad und Zierring aus Messing waren acht Vorreiber nach deutschem Vorbild getreten. Das Führerhaus besitzt einen Lüftungsaufsatz und ist nach neuzeitlichen ergometrischen Gesichts-punkten eingerichtet.

Trotz des arbeitsaufwändigen Innentriebwerks waren die Lokomotiven wegen ihrer vorzüglichen Betriebseigenschaften bei den Personalen beliebt, woran die mechanische Rostbeschickung sicher ihren Anteil hatte. Insgesamt beweist die Reihe 477.0 den hohen damaligen Entwicklungsstand im Dampflokomotivbau in unserem östlichen Nachbarland. 

Von Heribert Schröpfer

Ein Artikel aus LOK MAGAZIN 05/10.

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