Ende in Crailsheim

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Und diese Lok konnte ich im Dezember 1969 genauer inspizieren, als sie auf einem Abstellgleis nördlich des Bw Hameln ihrem Schicksal entgegendämmerte: Da fielen mir zunächst die beiden Stirnlampen auf, die nicht auf der Pufferbohle angebracht waren, sondern ganz außen unter dem vorderen Laufblech. Und dann das Triebwerk mit den mächtigen Rollenlagern – soll eine Menge an Wartungsaufwand eingespart haben, habe ich später gelesen. Natürlich musste auch der Führerstand besichtigt werden: Wie hoch war doch das Führerhaus angebracht, das seinen Namen wirklich verdiente.

Allseitig geschlossen, war es wirklich ein „Haus“: Eine verglaste Klapptür ließ sich leicht öffnen, und nach etwas Kletterei war ich dort, wo das Lokpersonal seinen Dienst versah: Ein Blick nach rechts: Zum Tender hin war das Führerhaus mit Gummiwülsten abgedichtet, ganz so wie bei den modernen Schnellzugwagen der DB. Und dann die Kesselrückwand: Kein Regler mehr, dieser befand sich rechts in Seitenlage über dem Steuerungshandrad. Dass sich so etwas „Seitenzugregler“ nennt, wusste ich damals als knapp Zwölfjähriger noch nicht.

Der Blick nach vorne zeigte mir ein weiteres Detail: Oberhalb des Steuerbocks gab es verschiedene rechteckige Instrumente, durch die beispielsweise die Lage der Steuerung und der Schieberkastendruck angezeigt wurden. Und einen geräumigen Eindruck machte das Führerhaus, man befand sich viel höher über der Schienenoberkante als auf einer 50er.
Ein Blick aus dem Schiebefenster auf der Heizerseite – da näherte sich schon die Bahnpolizei, die offenbar die Erkundungstour des jungen Eisenbahnfreundes beobachtet hatte. Nach dem Verlassen des Führerstandes blieb mir nur noch ein Blick auf die Tenderrückwand, die mir ein weiteres, bislang völlig unbekanntes Detail vor Augen führte: Die Wasserklappen wurden hier nicht über irgendein Gestänge betätigt, sondern über eine ausgeklügelte Konstruktion aus Zahnrädern und Ketten: So ließen sich die Wasserklappen mühelos vom Heizer aus Bahnsteighöhe aus öffnen und schließen – außer im Winter, wenn diese merkwürdige Konstruktion eingefroren war …

Nun waren die grün uniformierten Herren da, fragten nach dem Sinn meiner Erkundungen und verwiesen mich des Geländes. Wie schön, dass ich vier Jahre später sogar einmal auf dem Führerstand einer 23 sollte mitfahren dürfen!

Die Baureihe 23 heute
Unsere Jubilarin 23 105 wird ihren 50. Geburtstag im Eisenbahnmuseum Heilbronn feiern, wo sie äußerlich wieder aufgearbeitet wird. Noch sieht man deutlich die Beschädigungen, die sie beim Nürnberger Schuppenbrand hat hinnehmen müssen. Fünf 23er gelten als betriebsfähig: In den Niederlanden dampfen seit Jahren – mit Unterbrechungen anlässlich neuer Hauptuntersuchungen – 23 023, 23 071 und 23 076. In Darmstadt-Kranichstein ist 23 042 ebenso betriebsfähig wie 23 058 bei der Schweizer Eurovapor, die ihre Lok aber auch in Deutschland einsetzt. Im Deutschen Dampflok-Museum in Neuenmarkt-Wirsberg steht 23 019 als Schaustück im Schuppen, und 23 029 erinnert am Berufsschulzentrum in Aalen-Weidenfeld an die Dampflokzeit.

Von Martin Weltner


Ein Artikel aus LOK MAGAZIN 01/10

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