Nobel und schnell: F-Zug „Blauer Enzian“

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Die Fahrzeit von nurmehr etwa zehn Stunden zwischen beiden Endbahnhöfen (im Sommer 1953 = 13.01 Uhr ab München, 23.05 Uhr an Hamburg-Altona; 6.18 Uhr bis 16.22 Uhr in der Gegenrichtung) lässt deutlich die Aufwärtsentwicklung nur wenige Jahre nach dem Inferno in Deutschland erkennen.

Der eigentliche „Blaue Enzian“
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Tatsache, dass sich die Bundesbahn Anfang der 1950er-Jahre vor dem Hintergrund akuten Fahrzeugmangels, namentlich auf Fernstrecken, auch für einen Wiederaufbau der Leichtbau-Schürzenwagen des einstigen Henschel-Wegmann-Zuges entschied, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Lazarettzug auf ihren Gleisen verblieben, in dieser Form jedoch nicht mehr zu verwenden waren. Dem außergewöhnlichen Charakter der stromlinienförmigen und bündig mit den Außenwänden abschließenden Faltenbälgen, auf Drehgestellen der Bauart „Görlitz III leicht“ laufenden Wagengarnitur entsprechend, bot sich deren Herrichtung für das neue F-Zug-Netz an. Verständlicherweise bedingte die Neuausstattung ausschließlich mit komfortableren Plätzen der damaligen 1. und 2. Klasse jedoch eine weitgehende Veränderung des Grundrisses und der Innenräume. Dabei wurden u. a. im ehemaligen 3.-Klasse-Großraum des 42,8 Tonnen wiegenden Kopfwagens 10 401 ein Speiseabteil mit 24 Sitzgelegenheiten und als grundlegende Neuerung für den untereinander durch Scharfenberg-Kupplung verbundenen Gesamtzug eine Klimaanlage installiert.

Der Auftrag zum Umbau war an die Wegmann-Werkstätten in Kassel gegangen, aus denen die zunächst vierteilige, mit Hildebrand-Knorr-Bremse ausgestattete Wagengarnitur von 1935 ursprünglich stammte. Ein fünfter Stromlinienwagen, bis auf die Platzaufteilung weitgehend identisch mit den beiden mittleren Fahrzeugen SBC 4 ü-35 Nr. 10 402 bzw. 10 403, die je zwölf Sitzplätze der damaligen zweiten und 56 der dritten Klasse aufwiesen, war zur Kapazitätserweiterung nachbeschafft worden.

Die drei 21,20 Meter langen Mittelwagen boten nun jeweils 50 Plätze der Polsterklassen. In Wagenmitte befanden sich zwei geräumige sechsplätzige 1.-Klasse-Abteile, in denen nur die vier Eckplätze belegt wurden. Außer Seitengang-Abteilen in gewöhnlicher Länge waren durch Vereinigung von jeweils zweien großzügige Doppelabteile mit sechs herkömmlichen Sitzen, zwei losen Drehsesseln und einem Ablagetisch entstanden. Der 21.875 mm lange Endwagen 10 405 enthielt 20 Plätze in der 2. Klasse und einen mit 14 Sesselplätzen deutlich vergrößerten Aussichtsraum.

Nach Beendigung der Präsentation dieser Garnitur auf der Deutschen Verkehrsausstellung München 1953 und nochmaliger Überprüfung aller Anlagen der modernisierten Wegmann-Wagen wechselten sie im Frühjahr 1954 in den Plandienst als Fernschnellzug „Blauer Enzian“ zwischen München und Hamburg-Altona über die Nord-Süd-Strecke, der nach der Zonengrenzziehung und Verlagerung der Verkehrsströme wachsende Bedeutung zugefallen war.

Ein außergewöhnlicher „Gegenzug“
Da zum damaligen Zeitpunkt der Umlauf F 55/56 wegen des langen Zugweges für Hin- und Rückfahrt zwei Tage erforderte, sah sich die DB vor die Notwendigkeit gestellt, einen zweiten Wagenpark „Blauer Enzian“ zu beschaffen. Er fand sich in zwei generalüberholten regulären „blauen F-Zug“-Wagen der Baujahre 1928/29, einem je nach Verfügbarkeit wechselnden DSG-Speisewagen sowie zwei besonderen „Schürzenwagen“: dem 24.000 mm langen und anfänglich 64 Tonnen (!) Eigengewicht aufweisenden Pressewagen Salon 4 ü-37 Nr. 10 251 der vormaligen deutschen Reichsregierung und einem ursprünglichen 3.-Klasse-Wagen C 4 ü-38 Nr. 19 347 (LüP 21.270 mm) aus dem Herstellerjahr 1941. Dieser war auf Geheiß eines ranghohen Offiziers der US-Militärregierung 1950 nach amerikanischem Vorbild mit einem Aussichtsabteil am Ende – ähnlich dem Wegmann-Endwagen – zum Salonfahrzeug 10 217 umgestaltet worden. Dem Zug fehlte allerdings die Klimatisierung.

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