Stadt am Abstellgleis?

4.000 Menschen waren noch 1970 in Bebra Beschäftigte der Bundesbahn. Beschäftigte? Nein: Ihr Herz schlug für die Eisenbahn! Was ist davon geblieben? Eine eher traurige Bilanz

 
Mit einem Messzug der Versuchsanstalt Minden rollt die 45 019 am 20. September 1965 in den Bahnhof Bebra ein © Lok-Magazin
Der hessische Eisenbahnknotenpunkt war vielen bekannt. Hier stiegen bis 1989 die Rentner aus und nach der DDR um, hier hielten die Intercitys von und nach München zum Personalwechsel, hierher wendeten bis 1973 die Lokomotiven der Baureihe 01.5 vom Bahnbetriebswerk Erfurt P, hier begann eine vor der Elektrifizierung schwierige und dicht belegte Strecke mit einem nahezu 90°-Bogen in Richtung Göttingen, hierher kamen berühmten Leute von Kaiser Wilhelm I. bis Willy Brandt.

Auch Lenin war in Bebra, als er im plombierten Wagen von der Schweiz nach Sassnitz reisen durfte. Die beste Zeit hat der Bahnhof wohl bis zum Ersten Weltkrieg erlebt.

DIE ENTWICKLUNG ZUM DREHKREUZ

Die Kurfürst-Friedrich-Wilhelm-Eisenbahn baute die erste Strecke bis 1848 nach Guxhagen und weiter nach Kassel. Im Jahr darauf wurde der Anschluss zur Thüringer Bahn in Gerstungen erreicht. Als 1866 der Verkehr nach Hersfeld und 1875 nach Eschwege 1875 eröffnet wurde, war Bebra ein Knotenpunkt mit mächtigem Bahnhofsgebäude geworden.

1869 und 1870 wurde er wiederum erweitert. Es erhielt keine großartige Empfangshalle, denn hier wurde vorwiegend umgestiegen. Den Wartenden standen Räume aller Klassen zur Verfügung, auch ein prächtiger Speisesaal; es gab ein Fürstenzimmer.


Mit der 1880 gebauten Güterabfertigung und Umladehalle für Stückgut (1919 abgebrannt, 1924 bei Lispenhausen als „Bebra U“ neu in Betrieb), einer 1890 gebauten Lokomotivstation mit vier Schuppen – die Beheimatung und Behandlung der Personen- und Güterzuglokomotiven war aufgeteilt worden – und dem von 1902 bis 1906 errichteten Verschiebebahnhof wurden in Bebra Eisenbahner aller Fachrichtungen benötigt.

Die Stadt der Eisenbahnerfamilien gedieh. Über eine neue 3,9 km lange Strecke, die sogenannte „Berliner Kurve“, zwischen Faßdorf und Blankenheim am 1. November 1914 mit dem dritten Gleis bis Hönebach eröffnet, konnten die Schnellzüge, ohne in Bebra wenden zu müssen, und auch Güterzüge von und nach Erfurt in den Verschiebebahnhof ein- bzw. ausfahren.

Im Jahr zuvor war das erste elektromechanische Stellwerk in Betrieb gegangen. Die Reisezeitersparnis lag bei 20 Minuten. Nur wer direkt nach Bebra wollte, hatte das Nachsehen. Er konnte nicht mehr alle Züge benutzen. Heute ist es wieder so.

FAST NICHTS DURCH BOMBEN ZERSTÖRT

1935, zum Hundertjährigen der deutschen Eisenbahnen, hatte auch die Eisenbahnerstadt Bebra gefeiert. Zu den Veranstaltungen kamen die neuesten Schnelltriebwagen. 1937 ging im Güterbahnhof das Stellwerk „Bsb“ (später „Bsf“) in Betrieb, das am 13. Februar 1966 aufgegeben wurde.

Der Bahnhof erlebte am 4. Dezember 1944 den ersten und einzigen Bombenangriff, bei dem aber kaum etwas zerstört wurde. Bald danach waren die Bahnsteige schwarz von Menschen und die Gleise voll von Heimkehrerund Umsiedlertransporten.

EINER DER HAUPTKNOTEN DER BUNDESBAHN

Diese Blütezeit lebte fort trotz der Demarkationslinie, Zonen- und Staatsgrenze im Osten, weil Bebra nun erst recht mitten im Reise- und Güterzugstrom der Nord-Süd-Verbindungen lag und ein Grenzbahnhof geworden war. Bebra wurde zum stark belasteten Knoten bei der Deutschen Bundesbahn.

Um ihn und auch die Strecke in Richtung Eschwege zu entlasten, nahm die Bundesbahn 1951 auf dem stark belegten, 12,2 km langen Abschnitt bis Cornberg die erste Fernsteueranlage mit Gleiswechselbetrieb in Betrieb. Dort sollten „fliegende Überholungen“ möglich sein, aber die Fernsteueranlage brachte nicht das erhoffte Ergebnis, weil Überholungen nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen zustande kamen.

Trotzdem diente die Neuerung dem Bahnhof Bebra, weil Kreuzungen und Überholungen auf die freie Strecke verlegt werden konnten. 1952 wurden das dritte Gleis Bebra – Hönebach und das zweite Gleis der Berliner Kurve zurückgebaut – man brauchte sie nicht mehr, da wegen der Kontrollstelle sämtliche Züge von und nach Gerstungen in Bebra Aufenthalt haben mussten.

Der Verschiebebahnhof passte nicht mehr zu dem Nord-Süd-Verkehr, weil jeder Zug gegen den Ablaufberg in die Zerlegegleise geschleppt werden musste. Außerdem waren die Einfahr- und Richtungsgleise viel zu kurz. Anstoß für die Erweiterung der Gleisanlagen gab die 1962 bevorstehende Elektrifizierung der Nord-Süd-Strecke, zumal Platz für die Mastfundamente gerade dort gefunden werden musste, wo die Gleise lagen.

Der Wagenausgang sollte von täglich 2.100 Wagen auf 3.000 angehoben werden, wozu:

1. eine neue Einfahrgruppe oberhalb des Ablaufberges mit direkten Einfahrten von Nord und Süd,

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