Studentenheizer: Auf dem Führerstand - 1970 im Bw Crailsheim

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Ab 1942 besaß Crailsheim die Reihen 44 und 50 für den Güterzugdienst. Vier bis fünf der zehn 44er fuhren auf den Strecken nach Nürnberg, Heilbronn, Kornwestheim und Backnang mit durchschnittlich 386 Kilometern Tagesleistung. Die zehn 50er fuhren zusätzlich nach Lauda, Schorndorf und Ulm. Den Verschiebedienst versahen 94.5, später 78er. Die zum Sommer 1973 zugegangenen letzten 64er des Bw Heilbronn kamen kaum zum Einsatz, sondern wurden meist an andere Betriebswerke ausgeliehen.

Das Anwachsen des Güterverkehrs, vor allem zwischen Heilbronn und Nürnberg, brachte einen letzten Höhepunkt des Dampfbetriebes. Täglich wechselten bis zu 30 planmäßige Güterzüge in Crailsheim die Lok. Einen Teil dieser Züge bespannte zwischen Nürnberg und Crailsheim das Bw Nürnberg Rbf, so dass sich im Bw Crailsheim ein ständiges Kommen und Gehen von Loks der Reihen 03, 23, 44, 50, 78 und 94.5 aus Crailsheim, Aalen, Heilbronn, Ulm und Nürnberg abspielte.

Mit Verdieselung und Elektrifizierung, letzteres vor allem der Strecken Crailsheim – Nürnberg und Heilbronn – Würzburg, begann der Abstieg: Der Plandienst der Reihe 44 wurde zum Sommerfahrplan 1973 aufgegeben, der 23er-Dienst stark reduziert, der 50er-Umlauf hingegen gestärkt. Im Sommer 1975 waren nur noch drei 23er und fünf 50er im Umlauf, im Winter 1975/76 endeten die Planeinsätze. Am 30. Dezember 1975 wurde 23 058 vom Bw Crailsheim als letzte 23er der DB ausgemustert; am 8. Juni 1976 wurde hier auch mit der 50 833 die letzte 50er der BD Stuttgart abgestellt. Am 1. Juli 1976 verließen die in Crailsheim stationierten und für das BZA München als Bremslokomotiven vorgehaltenen 44 404 und 44 427 Crailsheim in Richtung Gelsenkirchen. Damit war der Dampfbetrieb in Crailsheim und gleichzeitig auch bei der BD Stuttgart zu Ende.

Schlafen in der Baracke
Meine Unterbringung im Bw-Gelände war zünftig und schloss allgegenwärtiges Schnuppern von Dampflokatmosphäre ein: Im Schatten des mächtigen Kugelwasserturmes direkt oberhalb der zweiten Drehscheibe und der Lokomotiv-Freistände befand sich die Übernachtungs-Baracke, in der neben Lokpersonalen etwa ein halbes Dutzend Studentenheizer logierten. Die alte Bundesbahn war ein generöser Arbeitgeber: Es gab für die Studenten beachtliche Sozialleistungen, Frei- und Personalfahrten sowie einen Besuch des Nürnberger Verkehrsmuseums. Bei angenehmem Betriebsklima kehrte ich in mehreren Semesterferien nach Crailsheim zurück.

Im Schatten der modernen 23er mit ihren glatten Linien meinte der Crailsheimer B-Gruppenleiter im Jahre eins nach der Mondlandung etwas verlegen-abschätzig: „Heute fliegt der Mensch auf den Mond, und wir fahren hier immer noch mit uralten Dampflokomotiven!“

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