Tempo mit System

Seiten


Bewusst wurden der Industrie bei der Bestellung des Fahrzeugs keine einengenden Vorgaben gemacht, sondern der Triebzug sollte den Stand der Technik und des Machbaren demonstrieren und dadurch in die Zukunft weisen. Als 1984 ein erstes Modell des Zuges vorgestellt wurde, waren die konstruktiven Arbeiten an den beiden Triebköpfen bereits in vollem Gange. Tatsächlich entstand ein futuristisches Fahrzeug, das sich von allem unterschied, was bis dahin in Deutschland auf der Schiene zu sehen war: Die Außenseite des Zuges ist fast ganz glatt, zwischen den Wagen bilden bewegliche Segmente einen geschlossenen, außenbündigen Übergang. Die Hochspannungsleitung zwischen den Triebköpfen wurde unter das Dach verlegt. Wo es ging, wurde zur Kosteneinsparung auf Bewährtes zurückgegriffen. So handelt es sich beim Führerstand um den Einheitsführerraum der Baureihe 111, der elektrische Teil orientiert sich an der Vorserien-120.

Aufwändig war die Erstellung des Kopfteils, dessen Form in langen aerodynamischen Versuchsreihen ermittelt worden war. Für den Bau entstand bei Krauss-Maffei ein 1:1-Modell, von dem Biegeschablonen abgenommen wurden. Das vorgefertigte Kopfteil wurde dann später als Modul auf den Rahmen aufgesetzt. Die Seitenwände sind Höckerplatten, wie sie mit dem VF 1 erstmals verwendet worden waren. Die drei Mittelwagen erhielten unterschiedliche Drehgestelle, unterscheiden sich sonst aber nur in der Innenausstattung. Die ursprünglich geplante Fahrzeugbreite von 3.200 mm reduzierte man auf 2.930 mm, damit die freizügige Einsetzbarkeit gewährleistet blieb.  Daraus ergab sich eine Wagenlänge von 24,3 Metern. Im Inneren zeigen Fahrgastinformationssysteme sowie vielseitige und bis zu diesem Zeitpunkt völlig ungewohnte neue Einrichtungen die Möglichkeiten auf.

Am 19. März 1985 wurde der 410 001 bei Krupp in Essen, am 3. April der 410 002 bei Thyssen-Henschel in Kassel vorgestellt. Anschließend erfolgte im AW München-Freimann die Inbetriebsetzung mit der Optimierung der Komponenten und der Einstellung der Software. Am 31. Juli konnten bei MBB in Donauwörth die Mittelwagen 810 001 – 003 übergeben werden.
Nach den ersten „Gehversuchen“ der Triebköpfe wurde der Zug komplettiert und Schritt für Schritt in Betrieb genommen. Den Einstellungsfahrten folgten Mitte 1985 erste Vorstellungen und zahllose Versuchsfahrten, zunächst im Münchner Umfeld, dann auf schnellen Streckenabschnitten. Schon am 19. November konnte im Rahmen der Hochtastfahrten mit 324 km/h ein neuer Rekord aufgestellt werden. Das allein reichte schon, um den ICE in die Presse zu bringen, war aber nichts gegen die Aufregung, die die Deutschlandreise des Zuges im Dezember 1985 verursachte. So machte der ICE bereits vor Beginn seines eigentlichen Betriebs die positiven Schlagzeilen, auf die man bei der DB so lange hatte warten müssen.

Ein umfangreiches Testprogramm im Jahr 1986, aber auch viele Publikumsfahrten – das Bundesforschungsministerium als Hauptgeldgeber hatte hier ein Wort mitzureden – offenbarten das Leistungsvermögen des Zuges. Zahlreiche Politiker und Staatsgäste nutzen die Gelegenheit, ein Stück mit dem ICE zu reisen. Auch in Österreich und der Schweiz kam er zum Einsatz, in Frankreich im Schlepp eines TGV. Technisch bereiteten nach Einstellung der Leistungselektronik vor allem Störströme und die Temperaturempfindlichkeit von elektronischen Bauteilen in den Sommermonaten Schwierigkeiten. Die insgesamt positiven Ergebnissen der Versuche erlaubten aber ein weiteres Herantasten an die 400-km/h-Marke, die am 1. Mai 1988 geknackt wurde. Mit 406,9 km/h wurde nach langen Vorbereitungen schließlich ein neuer Weltrekord aufgestellt.

Seiten

Tags: 
Weitere Themen aus dieser Rubrik

ET 184 41, 42/ ET 185 01: Elektrische Pioniere

Am 4. Dezember 1895 eröffnete die Localbahn AG in Württemberg zwischen Meckenbeuren und Tettnang die erste elektrische Vollbahn in Europa.

Für den...

weiter

Baureihe 140 im Emsland: Die Funken schlagen

Im Emsland tummelten sich früher die Dampflokfans. Doch Geschichte wiederholt sich: Das Emsland zieht heute Ellok-Nostalgiker an. Warum das so ist, lesen Sie hier!

Lokführer im Ruhrgebiet in den 1970ern: Oft um den Kirchturm herum

In den frühen 1970er-Jahren arbeitet Peter Schricker als Lokheizer im Bahnbetriebswerk Duisburg-Wedau. Seine Dampflok-Einsätze sind die typischen jener Jahre:... weiter