Wir sind wieder wer!

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Aber wenn er nun in Gießen oder Gütersloh oder Düren oder Hanau oder Kreiensen oder Darmstadt umgestiegen war, hatte sich eigentlich gar nichts geändert. Man kam mit 01 oder 03 an, fuhr hinter 23 oder 78 weiter. Auf den Nachbargleisen warteten 38er mit ihren Personenzügen, 64 und 86 sicherten die Anschlüsse zu den abzweigenden Nebenbahnen. Jenseits der Bahnsteiggleise polterte eine 41 mit einem Güterzug vorbei und noch weiter hinten blickten aus den offenen Toren der Rundschuppen ganze Großfamilien von 39, 44, 50, 55 und 57.

Am Ablaufberg weiter hinten machte sich die 94 nützlich. Sicherlich, die 74 hatte dem Schienenbus weichen müssen, aber die ebenfalls von Bundesbahngleisen verschwundene T 3 würde spätestens man ein paar Abzweigbahnhöfe weiter im Besitz einer privaten Kleinbahn wieder treffen. Eine nagelneue V 60 oder eine schwarze V 36 belebten das Bild, ohne die Vorherrschaft der Dampflok zu gefährden.

Doch nun lassen wir denselben Amateur 1964 oder 1967 wieder anreisen. Alles ist anders. Fahrleitungen überspannen den Bahnhof, Elloks in Blau und Grün mit schwarzem Rahmen und silbernen Dach beherrschen das Bild. Auf den Nebenbahnen fährt die V 100 – oder nichts mehr. Die Fülle der Dampfloks ist fast schon auf eine Anzahl 50er in oft beklagenswertem Zustand zusammengeschrumpft. Alle anderen Baureihen stehen unter dem Vorzeichen des „noch“. Auf den Abstellgleisen des Bahnbetriebswerkes stehen rostige alte Kameradinnen, so weit das Auge reicht. Längst sind es nicht mehr nur Länderbahnloks.

Kilometersteine 1962 an der Zeitschiene
Das Jahr 1962 sehen wir mitten in diesem radikalen Umbruch. Die Bundesbahn begann es mit 7.391 Dampflokomotiven und beendete es mit 6.731. Am schärfsten von Ausmusterungen betroffen waren die 3810 mit 89, die 945 mit 82 und die 5710 mit 70 Exemplaren. Vollständig verabschiedeten sich die erst seit dem Zugang der Saarbahnen wieder im Bestand vertretenen Kriegsloks 42 und 52 sowie die 751–3, 8970–75, 9220, 975 und 983. Unter den 186 neuen Elloks, 339 neuen Dieselloks und 54 neuen Triebwagen dominierten die V 100 mit 309, die E 40 mit 105 und die E 41 mit 48 Exemplaren. Das mit einem Fahrdraht überspannte Streckennetz wurde zum 27. Mai 1962 hauptsächlich erweitert, um den noch fehlenden Nordabschnitt der vorrangig für den Güterverkehr wichtigen rechten Rheinstrecke Oberlahnstein – Gremberg – Oberhausen-Osterfeld Süd und den Abschnitt Ingolstadt – Treuchtlingen als weiteren Teil der Verbindung München – Treuchtlingen – Würzburg. Umfangreiche Bauarbeiten an wichtigen Fernbahnen sollten erst ein Jahr später ihre epochalen Auswirkungen haben: Am 8. März 1963 ging der Fahrdraht Fulda – Bebra unter Strom, am 26. Mai die Fortsetzung Bebra – Hannover.

Nirgends wurden noch 1962 den kohle- und ölgefeuerten Dampflokomotiven höhere Leistungen abverlangt als den 0110 und 44 auf dieser Nord-Süd-Strecke, die erst durch die deutsche Teilung zu ihrer großen Bedeutung gelangt war und die in einem zusammenwachsenden Westeuropa zum Rückgrat Nordsee/Skandinavien – Bayern/Brenner geworden war. Bei Eichenberg fuhren F-Züge und TEE im Blickfeld der Ferngläser der DDR-Grenztruppen.

Bundesbahndirektionen ohne einen Kilometer elektrifizierte Strecke waren Ende 1962 nur noch Hannover (mit 3.140 km die BD mit dem größten Netz!) und Münster. Führend war mit 851 Kilometern elektrischer Strecke und damit fast der Hälfte des Gesamtnetzes immer noch die Direktion München mit ihrer elektrischen Infrastruktur schon aus Vorkriegszeiten.

Die Neuinszenierung einer Wagner-Oper

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