Die Unglücksraben

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Stückpreis von nur 5,45 Millionen DM
Die Bestellung der 120.1 war zugleich ein kleines Konjunkturprogramm, denn seit Auslaufen der Baureihe 111 hatte keine nennenswerte Lokomotivproduktion mehr stattgefunden. Für die Industrie war es nach mageren Jahren ein überlebenswichtiger Auftrag. Sie musste einen Beschaffungspreis akzeptieren, der nur durch Ausnutzung aller Einsparmöglichkeiten und einer engen Zusammenarbeit der drei Hersteller des Mechanteils (Kraus-Maffei, Krupp, Thyssen-Henschel) erreicht werden konnte – und wohl auch in der Hoffnung auf umfangreiche Anschlussaufträge basierte.
Die 120.1 war zugleich die letzte Lokomotive, bei der eine enge Zusammenarbeit zwischen DB (hier vor allem das Bundesbahn-Zentralamt München) und Industrie stattfand. Man entschied sich für ein arbeitsteiliges Vorgehen beim Bau der Lokomotiven, um die Kosten gering zu halten. Ein Unternehmen sollte jeweils alle Teile einer Baugruppe fertigen: Krauss-Maffei alle Führerstände und Zwischenwände, Krupp die Drehgestelle und das Dach und Thyssen-Henschel die Untergestelle und Seitenwände. Die Baugruppen tauschte man untereinander aus. Je 20 Maschinen wurden bei jedem Hersteller endmontiert und ausgerüstet. Den elektrischen Teil lieferten AEG, Siemens und BBC. Die Endmontage und Inbetriebsetzung der Lokomotiven erfolgte im AW Freimann.
Für die Serienlokomotiven wurde kein neues Lastenheft aufgestellt. Man orientierte sich sowohl bei den betrieblichen Anforderungen als auch bei den Bauprinzipien an den fünf Vorserienlokomotiven, legte aber von vornherein eine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h zugrunde. Die Verbesserungen aus dem Ertüchtigungsprogramm der Prototypen wurden beibehalten und zusätzlich einige Änderungen realisiert, die aus den Betriebserfahrungen bzw. dem technischen Fortschritt resultierten (siehe Kasten unten). Das arbeitsteilige Vorgehen beim Bau machte einen ausgeklügelten Plan für die Bereitstellung der Bauteile und die einzelnen Fertigungsschritte in der Lokmontage erforderlich. Er sah vor, dass als erste die 120 103 im August 1986 für die Montage des elektrischen Teils bereitgestellt werden, im März 1987 abgenommen und dem Betriebsdienst zugewiesen werden sollte. Als letzte sollte 120 159 gegen Ende 1988 fertig werden. Tatsächlich stieß die Inbetriebnahme – im Dezember 1986 wurde 120 106 als erste Serienlok fertig – auf zahlreiche Hindernisse. Als überaus schwierig erwies sich die Abstimmung der technischen Komponenten und die Anpassung der Software. Das Zusammenspiel aller elektronischen oder elektronisch gesteuerten Elemente ergibt ein hochkomplexes System, das zudem noch zahlreichen Sicherheitsanforderungen entsprechen muss.
1986 füllte sich die Abnahmehalle in Freimann mit immer mehr Loks, aber keine der Maschinen tauchte im Betriebsdienst auf. Auch die offizielle Übergabefeier der ersten Serienlok (120 103) am 13. Januar 1987 mit Bundesverkehrsminister Josef Dollinger im AW München Freimann– bei der sich die Lok auch als erstes neues Fahrzeug mit orientrotem Anstrich mit weißem Lätzchen präsentierte – erwies sich als stark verfrüht.
 

Überdruck im Führerstand
Als wäre die Herstellung einer solchen Lokomotive nicht schon komplex genug, erreichte die Hersteller mitten im Bau der Fahrzeuge die Hiobsbotschaft, dass im Mechanteil wesentliche Änderungen erforderlich waren. Der Grund dafür war banal: Bei den beiden Neubaustrecken Stuttgart – Mannheim und Würzburg – Fulda (– Hannover) hatte man aus Kostengründen die Tunnelquerschnitte verringert. Bei der Begegnung zweier Züge im Tunnel mit jeweils 200 km/h entstanden starke Druckwellen und heftige Druckschwankungen. Das war weder den Lokpersonalen noch den Fahrgästen zumutbar. Die Wagen und Führerstände der Lokomotiven mussten daher druckdicht ausgeführt werden.
Bei den schon fertigen Lokkästen und Führerständen musste mühevoll nach den vielen kleinen Öffnungen für Kabel und Entwässerungsbohrungen, an denen Luft eindringen konnte, gesucht werden. Die Abdichtung erforderte gleichzeitig eine neue Lösung für den Luftaustausch. Schließlich stellte sich auch noch heraus, dass bei einer Schnellbremsung das Ventil in den Führerraum entlüftet und im druckdichten Führerstand dann der Druck von innen her anstieg und nicht abgebaut werden konnte. Erst für die Loks ab 120 130 konnten alle Änderungen bereits beim Bau berücksichtigt werden.

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