Görlitz: Seit 1847 per Bahn erreichbar

Die Stadt ist ein Geheimtipp: Nirgends in Deutschland blieb so viel wertvolle Architektur unbeschädigt erhalten. Dazu zählt auch der Bahnhof, heute ein offenes Tor nach Polen.

 
So etwas ist Geschichte: Die polnische SU 46-029 kommt am 10. Oktober 2002 mit einem Interregio von Breslau nach Dresden heran. Am Neißeviadukt erkennt man sehr gut den helleren Teil im Vordergrund, der nach der Sprengung von 1945 neu aufgebaut... © Lok-Magazin
Die Stadt Görlitz hatte mit dem Wiener Kongress 1815 ihre Zuordnung zur preußischen Provinz Schlesien erfahren und entwickelte sich dank günstiger Lage an der Lausitzer Neiße und der Via Regia im 19. Jahrhundert zu einem bedeutenden Verkehrsknoten.

Am 1. September 1847 fuhren die ersten Züge der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn von Kohlfurt kommend über den gerade fertiggestellten, 475 Meter langen und 35 Meter hohen Neiße-Viadukt.

Zum selben Zeitpunkt konnte auch die Strecke Dresden – Görlitz der Sächsisch-Schlesischen Eisenbahn und damit die Bahnverbindung mit Sachsen realisiert werden. Sie fand im September 1865 mit einem ersten Abschnitt der Schlesischen Gebirgsbahn bis Lauban ihre Fortführung in östlicher Richtung.

Vom Görlitzer (Kopf-)Bahnhof in Berlin aus nahm nur gut zwei Jahre später die Berlin-Görlitzer Eisenbahn den planmäßigen Betrieb auf, um insbesondere die Lausitz und das Riesengebirge anzubinden.

Der Erwähnung bedarf gleichermaßen die Weiterführung nach Zittau bzw. über Seidenberg ins böhmische Reichenberg 1875, die Wien zum Ziel hatte.

Elektrisch: Schlesische Gebirgsbahn
Nach umfangreichen Versuchen mit dem elektrischen Zugbetrieb auf der Wiesen- und Wehratalbahn in Baden, im Süden Bayerns und auf der mitteldeutschen Flachland-Hauptbahn Dessau – Bitterfeld entschloss sich die Königlich Preußische Eisenbahn-Verwaltung zur Elektrifizierung ausgewählter Haupt- und Nebenstrecken in Schlesien mit Wechselstrom 15 kV und 16 2/3 Hz. Am 1. September 1923 erreichte der Fahrdraht den Görlitzer Ortsteil Schlauroth.

Einschließlich einiger Zweigstrecken, namentlich Lauban – Königszelt, Hirschberg – Polaun und – Krummhübel und rund um Waldenburg, belief sich die Streckenlänge des elektrifizierten Netzes der so genannten Schlesischen Gebirgsbahn (SGB) Ende 1933 auf rund 388 Kilometer. Die Hauptlast trug dabei die Verbindung der beiden größten Städte Schlesiens: Breslau und Görlitz.

Im Gebirge bewältigten den Personenverkehr vier auf Basis vierachsiger preußischer Abteilwagen entstandene Triebwagen, die späteren ET 88. Sie waren als Versuchsfahrzeuge für die Berliner S-Bahn in Dienst gestellt, dann aber nach Schlesien weitergereicht worden.

Die Förderung der Personenzüge auf den weniger geneigten Strecken oblag anfänglich lokbespannten Garnituren. Hierfür standen die preußischen 1’C1’-Lokomotiven EP 202 – 208 (E 30 02 – 30 08) und die 1914 – 1924 gelieferten, aus je zwei Triebgestellen gebildeten B’B’-Loks EP 213 und 214 sowie 215 – 219 (E 42 13 – 19) zur Verfügung.

Den schweren Reisezugdienst besorgten die 1923/24 in Fahrt gekommenen 2’D1’ EP 236 – 252, nachmals E 50 36 – 52. Ihnen folgten schließlich die Reichsbahn-Einheitstypen E 17, E 18 und E 44 vor Schnell- und Personenzügen.

Vor allem aber der Güterverkehr profitierte von der höheren Leistungsfähigkeit beim elektrischen Betrieb. Im Hinblick auf die krümmungsreichen Gebirgsstrecken entstanden in den frühen Vorkriegs- und 1920er-Jahren recht urtümlich wirkende zwei- und dreiteilige Gelenklokomotiven.

Zunächst waren dies die C+C-Loks EG 551/52 bis 569/70, später E 90 51 – 60. Ihre beiden Doppelmotoren leisteten 1.530 kW (bei 35 km/h); ihre Höchstgeschwindigkeit betrug 50 km/h. Die B+B+B-EG 538 abc bis 549 abc, bei der Reichsbahn als E 91 38 – 49 eingereiht – mit holzverkleidetem Mittelteil – galten als kompliziert.

Es folgten die Co’Co’-Bauart EG 571 ab – 579 ab (DRG E 92 71 – 79 und 1925 die C’C’-Maschinen EG 581 – 594 (bei der Reichsbahn E 91 81 – 94) sowie E 91 95 – 106 mit zwei Doppelmotoren. Ab 1927 erhielt die Reichsbahn noch sechs schwere 1’Co + Co1’-Güterzuglokomotiven der Baureihe E 95.

Diese Loks konnten bei einer Stundenleistung von 2.778 kW (bei 47 km/h) immerhin schon 70 km/h Höchstgeschwindigkeit erreichen. Schließlich kamen im Zweiten Weltkrieg auch die E 94 zum Einsatz ab/bis Schlauroth Verschiebebahnhof.

In Görlitz begegnete der Betrachter neben preußischen, sächsischen und Einheits-Dampflokomotiven den Elektrolokomotiven sowie regelmäßig auch Wendeloks aus Lauban, Hirschberg, Breslau und Waldenburg-Dittersbach. Mit etwas Glück traf man sogar auf einen in der WUMAG, der 1849 von C. Lüders gegründeten Waggon- und Maschinenfabrik, bzw. Linke-Hofmann und SSW Mitte der 1920er-Jahre gebauten, für das Riesengebirge typischen elf vierachsigen „Rübezahl“-Triebwagen mit der Achsfolge (1A) (A1).

Ein Blick ins Kursbuch

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