Neue Schale, alter Kern

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Die Erstlinge ET 56 001 und 002 wurden im Sommer 1952 dem Bw Nürnberg Hbf zugewiesen, das sie vorrangig im Personenzugdienst einsetzte. Als Städteschnellverkehrszug – die Zuggattungen S bzw. ST waren erst 1951 eingeführt worden – kamen die ET auch nach Bamberg. Nach einem halben Jahr wurden die beiden Triebzüge nach Tübingen abgegeben, und Nürnberg erhielt als Ersatz die fabrikneuen und geringfügig stärkeren ET 56 006 und 007. Die drei weiteren Züge gingen direkt an das Bw Tübingen, dass 1956 auch die beiden letzten Nürnberger ET 56 erhielt – in der Frankenmetropole freute man sich indessen über die viel stärkeren ET 30, die die ET 56 dort überflüssig machten.

Fast zwei Jahrzehnte währte der Einsatz in Tübingen, wo mit den ET 25 aus der Vorkriegszeit schon weitere Elektrotriebzüge beheimatet waren. Haupteinsatzgebiet war die Strecke nach Stuttgart, wo sich speziell im ST-Dienst die geringe Höchstgeschwindigkeit nachteilig bemerkbar machen sollte. Mitte der 1950er-Jahre wurden Tagesdurchschnitte von teilweise über 500 Kilometer erreicht.

Ende der 1950er-Jahre sah man die ET 56 in erster Linie auf der Strecke von Stuttgart nach Bietigheim-Bissingen, wo keine hohen Geschwindigkeiten gefordert wurden.
Als das Bahnbetriebswerk Tübingen schließlich 1964 fünf fabrikneue ET 27 erhielt, begann der Stern des ET 56 zu sinken. 1970 kam es zu einer Tauschaktion: Tübingen erhielt aus Heidelberg fast alle dort stationierten ET 25 (jetzt 425), im Gegenzug gingen die sieben, jetzt als 456 bezeichneten „Eierkopfe“ dorthin – das Bw Heidelberg sollte zugleich letzte Heimat für die Fahrzeuge sein. Eingesetzt wurden sie zunächst im Pendelverkehr zwischen Heidelberg und Mannheim, auf der kurzen Stichstrecke von Baden-Oos nach Baden-Baden sowie auch nach Karlsruhe und Offenburg. Steigende Streckenhöchstgeschwindigkeiten sorgten aber dafür, dass die 456 immer mehr zum Verkehrshindernis wurden, schließlich durften sie nicht schneller fahren als ein Schienenbus. Ab 1971 wurde durch eine geänderte Übersetzung die Höchstgeschwindigkeit auf 120 km/h erhöht, dies machte jedoch die Bremsanlage nicht mit –letztendlich wurden die 456 für 110 km/h zugelassen.

Die Elektrifizierung weiterer Strecken vergrößerte das Einsatzgebiet der 456 in den Folgejahren. Zielbahnhöfe waren jetzt u. a. auch Heilbronn, Osterburken, Ludwigshafen und Kehl.
Anfang der 1980er-Jahre waren 456-Eilzüge schon zur Rarität, Nahverkehrszüge hingegen zum täglichen Brot geworden. Und wenn beim Ausfall eines 456 kein Vorkriegs-ET als Ersatz gestellt werden konnte, wurde ein Schienenbus eingesetzt! Das Ende naht und kommt
Nach über 30 Dienstjahren nagte der Zahn der Zeit immer heftiger an den Fahrzeugen. Schon Ende 1983 musste 456 104/404 wegen wirtschaftlich nicht mehr zu beseitigender Durchrostungen abgestellt werden. In den folgenden Monaten wurden weitere Züge und auch Einzelwagen aufs Abstellgleis geschoben. Das Bw Heidelberg war jetzt auch gezwungen, neue Dreiteiler ohne Rücksicht auf die Betriebsnummer zusammenzustellen.

Ende 1985 waren noch drei Züge betriebsfähig, zwei aus verschiedenen roten Triebköpfen und Mittelwagen zusammengewürfelte Garnituren sowie 456 106/856 006/456 406, das Unikat, das noch in den ozeanblau-beigen Farbtopf gefallen war. Die beiden letztgenannten Fahrzeuge dieser Garnitur mussten aber schon im Februar 1986 mit einem Brandschaden abgestellt worden.
Der blau-beige Triebkopf 456 106 hingegen war intakt geblieben und wurde jetzt mit je einem roten Mittelwagen (856 001) und Triebkopf (456 403) gekuppelt. In dieser eigenartigen Zusammenstellung hielt der Zug bis zum Fahrplanwechsel am 31. Mai 1986 durch – an diesem Tag endete der Plandienst der Baureihe 456. Alle noch vorhandenen Fahrzeuge wurden z-gestellt. Anfang 1987 war auch der letzte 456 verschrottet worden, keiner der ersten elektrischen „Eierköpfe“ blieb der Nachwelt erhalten.   

Von Martin Weltner

Noch mehr Bilder und Infos finden Sie in LOK MAGAZIN 10/11

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