Die Unglücksraben

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Wie schon angedeutet verlief die Karriere der 120.1 nicht pannenfrei. So mussten alle Lokomotiven wegen Softwareproblemen im September 1987 aus dem Verkehr gezogen werden. Ferner zeigte sich, dass ein Nothalt in einem langen Tunnel wenig sinnvoll ist, so dass eine Bremsüberbrückung eingebaut werden musste, wofür wiederum alle Loks z-gestellt wurden. Auch die starke Beanspruchung der Lok blieb nicht ohne Folgen. Tagsüber wurde auf den Schnellfahrabschnitten Tempo gemacht, nachts kamen die Loks entsprechend ihrer Bestimmung als Universallok vor schweren Güterzügen zum Einsatz. Die Laufleistungen erreichten Höchstwerte. Der elektrische Teil hielt diesen Beanspruchungen stand, der Mechanteil weniger. Eine Rolle mag hierbei auch der auf die Spitze getriebene Leichtbau nach der extremen Gewichtsvorgabe der DB gespielt haben. Schon nach wenigen Einsatzjahren traten Risse in Rahmen und Drehgestellen auf, die aufwändige Schweißarbeiten erforderlich machten.
Bereits 1988 bereitete aus den Getriebeschutzkästen austretendes Öl Kopfzerbrechen. Verdrehen der Fahrmotorritzel und Störungen der LZB durch Radschlupf waren weitere Probleme. In mühevoller Kleinarbeit gelang es, nach und nach alle Störungen zu beseitigen. Weil dazu auch längere z-Stellungen nötig waren, erfolgte eine zweite Abnahme.
Wegen der zahlreichen Nacharbeiten und Änderungen standen dem Betriebsdienst alle 60 Loks erst weit nach dem geplanten Termin zur Verfügung. Die Indienststellung der letzten drei Lok verzögerte sich schließlich um sechs Monate, weil die Maschinen bei einem Brand in Freimann so stark verrußt wurden, dass zur Reinigung die vollständige Zerlegung nötig war. Erst Ende 1989, fast ein Jahr später als vorgesehen, waren schließlich alle Loks endgültig abgenommen und in Betrieb.
 

Jetzt auch im Nahverkehr
Der Einsatz weiterer ICE-Baureihen (402, 411, 403) drängte die 120.1 immer mehr ins Abseits. Bei der Suche nach neuen Einsatzgebieten zeigte sich, dass wegen der umfassenden Ausrüstung der 120.1 (Wendezugsteuerung) auch ein Einsatz vor den zunehmend schwereren Doppelstockzügen interessant sein könnte. Mit ihrem hohen Beschleunigungsvermögen bringt die 120 auch lange Regionalzüge rasch in Fahrt.
So wurden für die Regionalexpresszüge zwischen Hamburg und Rostock fünf Lokomotiven Ende 2007 mit einem „Regio-Paket“ (u. a. Fahrgastinformationssystem und Türsteuermodul für das technikbasierte Abfertigungsverfahren) ausgerüstet. Als Unterbauart 120.2 bezeichnet und in Rostock beheimatet setzt DB Regio die Loks seit April 2008 ein. Im Fernverkehr können die Maschinen nun nicht mehr verwendet werden, weil sie eine andere Bauform der Notbremsüberbrückung erhielten. Umgerüstet wurden 120 107, 116, 121, 128 und 129:
120 201 = 120 116
120 202 = 120 129
120 203 = 120 107
120 204 = 120 121
120 205 = 120 128
In Nordrhein-Westfalen werden seit Dezember 2010 auf der Linie 9 Aachen – Köln – Siegen – Gießen drei Loks der Baureihe 120.1 vor Zügen mit Doppelstockwagen eingesetzt. Es handelt sich um:
120 117 = 120 206
120 139 = 120 208
120 136 = 120 207,
die ebenfalls das Nahverkehrspaket erhielten und an DB Regio abgegeben wurden. Sie sind jetzt im Werk Aachen Hbf beheimatet.
In diesem Zusammenhang muss an die Einsätze der Baureihe 120.1 vor den NS-Doppelstockwagen in München erinnert werden. Der S-Bahnverkehr mit der Baureihe 420 kam bei einem 20-Minutentakt zunehmend an seine Kapazitätsgrenzen. Trotz starker Vorbehalte der DB gegenüber Doppelstockwagen sollte diese Variante untersucht werden. Versuchsweise lieh die NS der DB für vier Wochen vier Doppelstockwagen, die zusammen mit 120 153 und 120 151 als „Sandwich“ im S-Bahnverkehr zwischen Geltendorf und Ebersberg sowie für drei Tage im Regionalverkehr zwischen München und Augsburg eingesetzt wurden. Natürlich dachte damals noch niemand an einen Einsatz der nagelneuen Baureihe 120.1 im Nahverkehr – aber zu der Zeit konnten sich viele auch den Einsatz von Doppelstockwagen nicht vorstellen.
 

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